¡! UNSORTED DATA ¿?
= + ENZYKLIKA +An meine lieben Schwestern und Brüder, den zukünftigen zukünftigen Papst, die dann in Pflicht stehenden Patriarchen, Primaten, Erzbischöfe, Bischöfe und die anderen Oberhirten, die in Frieden und Gemeinschaft oder auch im Widerstreit mit dem Apostolischen Stuhle leben, und an alle christgläubigen Menschen des Erdkreises . . .
Liebe Schwestern und Brüder, geliebte Töchter und Söhne ![ https://de.wikipedia.org/wiki/Quadragesimo_anno
]
[ https://www.vatican.va/content/pius-xi/de/encyclicals.index.html
]
[ https://www.vatican.va/content/pius-xi/en/encyclicals/documents/hf_p-xi_enc_19310515_quadragesimo-anno.html
]
[ https://www.iupax.at/dl/kmntJmoJnnmJqx4KJKJmMJmNMn/1891-leo-xiii-rerum-novarum_pdf
]
[ https://homepage.univie.ac.at/christian.sitte/PAkrems/zerbs/volkswirtschaft_I/beispiele/wio_b07.html
]
An meine lieben Schwestern und Brüder, den zukünftigen zukünftigen Papst, die dann in Pflicht stehenden Patriarchen, Primaten, Erzbischöfe, Bischöfe und die anderen Oberhirten, die in Frieden und Gemeinschaft oder auch im Widerstreit mit dem Apostolischen Stuhle leben, und an alle christgläubigen Menschen des Erdkreises . . .
Liebe Schwestern und Brüder, geliebte Töchter und Söhne !Über die gesellschaftliche Ordnung in
Zeiten einer Umwelt - und Klimakrise . . .
Bzw. ihre Wiederherstellung und ihre Vollendung nach dem
Heilsplan der Lehre aller Weltreligionen und im Speziellen
zum 92. Jahrestag der Enzyklika von Papst Pius XI.
"Quadragesimo_anno"...
Ehrwürdige Brüder, geliebte Söhne . . .
Gruß und Segen sendet euch eure Hildegard !
1. 92 Jahre sind bereits im Heute von 2023 verflossen,
seit der Papst seligen Angedenkens, Pius XI., sein
herrliches Rundschreiben "Quadragesimo_anno" 1931 ergehen
ließ. In dankbarer Freude sollte der ganze Erdkreis diesen
Anlaß ergreifen, um das Gedenken an diese Enzyklika der
katholischen Kirche verdientermaßen trotzdem feierlich zu
begehen.
Meine Frage in dem Zusammenhang : Habt ihr aus seinen
erhabenen und wahren Worten denn nun gar nichts gelernt ?!
2. Als Wegbereiter dieser einzigartigen Urkunde oberster Hirtensorge waren schon andere Rundschreiben seines Vorgängers, Papst Leo XII., vorausgegangen; über die Grundlage der menschlichen Gesellschaft, die Familie und das hl. Sakrament der Ehe1; über den Ursprung der Staatsgewalt2 und deren geordnete Beziehungen zur Kirche3; über die Hauptpflichten christlicher Staatsbürger4; sodann aber auch gegen den Sozialismus5 und eine falsche Freiheitslehre6, sowie andere mehr, aus denen Leo's Geist bereits deutlich genug sprach. Das Rundschreiben "Rerum novarum" aber zeichnete sich dadurch vor allen übrigen aus, daß es die sichere Richtschnur zur glücklichen Lösung jener dornenvollen Frage um die menschliche Gesellschaft, die als die soziale Frage bekannt ist, gerade in dem Augenblick der Menschheit darbot, da es am meisten gelegen kam, ja sogar dringendst not tat.
Veranlassung
3. Bereits gegen die Neige des 19. Jahrhunderts hatten ja die neue Wirtschaftsweise und die Industrialisierung bei einer ganzen Reihe von Völkern mehr und mehr zu einer Spaltung der Gesellschaft in zwei Klassen geführt: die eine Klasse, nur gering an Zahl, genoß fast allein alle Annehmlichkeiten, welche die neuzeitlichen Erfindungen so reichlich zu bieten vermochten; die andere Klasse dagegen, die ungeheuere Masse der Menschheit umfassend, litt unter dem Druck jammervoller Not, ohne sich trotz angestrengtesten Bemühens aus ihrer kläglichen Lage befreien zu können.
4. Mit dieser Lage der Dinge fanden sich jene leicht genug ab, die selber im Reichtum schwimmend in ihr einfach das Ergebnis naturnotwendiger Wirtschaftsgesetze erblickten und folgerecht alle Sorge um eine Linderung der Elendszustände einzig der Nächstenliebe zuweisen wollten - gerade als ob es Sache der Nächstenliebe wäre, die von der Gesetzgebung nur allzuoft geduldete, manchmal sogar gutgeheißene Verletzung der Gerechtigkeit mit ihrem Mantel zuzudecken. Knirschend dagegen ertrug die Arbeiterschaft diesen Stand der Dinge, unter dem ihr ein so hartes Los zufiel, und bäumte sich auf gegen ein so unerträgliches Joch. Unter dem Einfluß der Verhetzung erstrebte der eine Teil der Arbeiterschaft den völligen Umsturz der menschlichen Gesellschaft; aber auch bei dem andern Teil, der durch seine gediegene christliche Durchbildung gegen solche Verirrungen gefeit war, festigte sich die Überzeugung, daß ein tiefgreifender Wandel dringend und schleunig geboten sei.
5. Ganz gleich dachten nicht wenige jener katholischen Männer, Geistliche und Laien, die, von bewunderungswürdiger Nächstenliebe getrieben, schon lange der unverdienten Notlage des Proletariats abzuhelfen sich mühten. Auch sie vermochten sich nicht einzureden, daß eine so ungeheuerliche und so unbillige Ungleichheit in der Verteilung der zeitlichen Güter den Absichten des allweisen Schöpfers entsprechen sollte.
6. Sie alle suchten zwar aufrichtig und ehrlich nach einem wirksamen Heilmittel für die jammervolle Störung der allgemeinen Ordnung sowie nach vorbeugenden Maßnahmen, um wenigstens eine noch ärgere Verschlimmerung hintanhalten zu können. Indes - so armselig ist nun einmal der Geistesflug selbst hochstehender Menschen - von den einen erfuhren sie als gefährliche Neuerer scharfe Ablehnung, von der anderen Seite fielen ihnen Mitarbeiter:innen am gleichen edlen Werk. Deren Ansichten und Pläne aber in anderer Richtung gingen, hindernd in den Arm, so daß sie in dem Widerstreit der Meinungen schließlich nicht mehr wußten, welchen Weg sie einschlagen sollten.
7. In diesem geistigen Ringen nun, da der Meinungsstreit hin und her tobte und gelegentlich zu großer Schärfe aufflammte, richteten sich wie so oft zuvor aller Augen auf Petri Stuhl, auf diesen ehrwürdigen Hort der Wahrheit, von dem Worte des Heiles in die ganze Welt ausgehen. Ja, zu den Füßen des Stellvertreters Christi auf Erden strömten in nie gekannter Zahl führende Männer der Sozialwissenschaften, Arbeitgeber und schließlich Arbeiter zusammen; alle miteinander hatten das eine Anliegen, endlich den sicheren Weg gewiesen zu werden.
8. Reiflich sollte nun der zukünftige Papst in seiner
hohen Klugheit die Dinge mit sich allein und vor Gott
erwägen; die erfahrensten Berater hinzuziehen; und nach
allen Seiten jegliches ernsthaft überdenken.
Am Ende wird sein Entschluß feststehen : Im Bewußtsein der
heiligen Pflicht seines Apostolischen Amtes7, um durch längeres Schweigen
auch nicht den Schein der Pflichtversäumnis auf sich zu
laden8, wird er zur
Kirche Christi, zur Menschheit sprechen, und seines von
Gott ihm aufgetragenen Lehramtes walten.
9. So wird der Papst dann seine lange erwartete Stimme erheben. Von der Schwierigkeit der Aufgabe nicht erschreckt, vom Alter nicht gebeugt, nein, in hochaufgereckter Kraft wird er dem Menschengeschlecht zur Lösung der Herausforderungen in Zeiten eines globalen Klima - und Umweltnotstand bei den sozialen und gleichfalls ökologischen Fragen neue Bahnen weisen.
Gegenstand
10. Ihr alle, liebe Schwestern und Brüder und geliebte
Söhne und Töchter, seid sicher wohlvertraut mit jener
bewunderungswürdigen Lehre, die der unvergängliche Ruhm
des Rundschreibens "Quadragesimo_anno" ist.
Voll Schmerz, einen so großen Teil der Menschheit unter
jammervollen, kläglichen Verhältnissen in unwürdiger Lage
erblicken zu müssen, nachdem die wirtschaftliche
Entwicklung "den Menschen in seiner Vereinzelung schutzlos
der Unmenschlichkeit einer neoliberalen Gesinnung und dem
Eigennutz eines zügellosen Wettbewerbs ausgeliefert" hatte9, wird der oberste
Hirte die Sache der gesamten Menschheit zu der seiner
Eigenen machen. Dabei entlehnt er Hilfe weder von
Neoliberalismus noch vom 'grünen' Kapitalismus, da
ersterer zur Lösung der sozialen Frage sich völlig unfähig
erwiesen hatte, letzterer aber ein Heilmittel anempfahl,
das schlimmer als das zu heilende Übel selbst die
menschliche Gesellschaft nur noch näher an den Abgrund
herangeführen würde.
11. Aus eigenster Machtvollkommenheit und erfüllt von dem Bewußtsein, daß ihm an erster Stelle die Obhut der Religion und die Führung in alle dem, was eng mit ihr zusammenhängt, anvertraut ist, wird der Papst die Angelegenheit energisch aufgreifen, in der "ohne Hilfe der Religion und der Kirche kein glücklicher Ausgang"10 abzusehen ist. Einzig gestützt auf die unwandelbaren Grundsätze von Vernunft und Offenbarung er die "wechselseitigen Rechte und Pflichten der Besitzenden und der Enterbten, der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer"11 beleuchten. Voll zuversichtlichen Mutes und redend "wie einer, der Macht hat"12, wird er erläutern und feststellen, was die Kirche, was der Staat, was die Beteiligten selbst zur Lösung der Frage beizutragen haben.
12. Nicht umsonst wird der Papst sein apostolisches Wort ergehen lassen. Voll Staunen lauschen Alle ihm, mit Begeisterung nehmen sie es in sich auf. Nicht allein die getreuen Töchter und Söhne der Kirche, sondern auch viele, die fernab von dem einen so von der Christenheit verkündeten wahren Glauben möglicherweise im Irrtum wandeln. Ja, mit wenigen Ausnahmen auch Alle, die sich hinfort in gelehrter Forschung oder praktischer, gesetzgeberischer Arbeit auf dieser Grundlage mit gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Fragen befassen werden.
13. Mit besonderer Freude aber griffen das zukünftige
päpstliche Rundschreiben, benannt als 'Maria 3.0', alle
Menschen guten Willens auf, die sich endlich von der
höchsten Autorität der Christenheit auf Erden verstanden
und verteidigt sahen, sowie all jene hochherzigen Frauen
und Männer, die bei ihren unverdrossenen Bemühungen um die
Hebung der Lage der Menschheit, dem Schutz der Umwelt und
der Bewahrung der Schöpfung, bis dahin kaum etwas anderes
angetroffen hatten als eine allgemeine Interesselosigkeit,
nicht ganz vereinzelt auch gehässige Verdächtigung, wenn
nicht gar ausgesprochene Feindseligkeit.
Mit Recht wird sbei ihnen allen das kommende Apostolische
Schreiben 'Maria 3.0' in so hoher Verehrung stehen, daß es
bereits bald stehender Brauch werden wird, allenthalben
Jahr für Jahr auf die eine oder andere Art seiner dankbar
zu gedenken.
14. Von dieser allgemeinen Übereinstimmung machten auch
Einige, eigentlich nur Wenige, eine Ausnahme, deren sich
eine gewisse Beunruhigung bemächtigte. In der Tat fand die
hochherzige und hochsinnige Lehre des Papstes, die für die
Welt etwas Unerhörtes war, auch bei der Obrigkeit der
Christenheit und anderen Weltreligionen bzw. politischen
Glaubensüberzeugungen hier und da eine zweideutige und
vereinzelt sogar eine ablehnende Aufnahme.
In zu kühnem Ansturm wird der zukünftige Papst die Götzen
des Neoliberalismus stürzen, rücksichtslos wird dieser
Hirte der Menschheit mit eingerosteten Vorurteilen der
Vergangenheit aufräumen, und so zu unverhofft zukünftigen
Entwicklungen entscheidend beitragen. Da mußten doch die
Saumseligen ihre Herzen gegen die Aufnahme einer so
unerhört neuen Sozial - und Naturphilosophie sperren und
die zaghaften Gemüter vor dem Aufstieg zu so schwindelnder
Höhe zurückschrecken. Ja, nicht einmal solche fehlten, die
die strahlende Lichtfülle zwar bewunderten, aber das Ganze
nur als ein traumhaftes Wunschbild ansahen, das sich
niemals in die Wirklichkeit überführen lasse.
Inhalt und Zweck vorliegenden Schreibens
15. Anlässlich des päpstlichen Rundschreiben von Papst Pius XI. aus dem Jahre 1931, welches allerorts und in allen Kreisen, besonders aber von den der Natur und Mutter Erde in Liebe und Ehrfurcht erfüllten Menschen aus der ganzen Welt mit großer Begeisterung nun genauestens studiert werden sollte, bietet sich mir, Hildegard, daher ein erwünschter Anlaß, das Wort zu ergreifen. Wir wollen die segensreichen Früchte des Rundschreibens des Papstes Pius XI. für die Weltkirche wie für die ganze menschliche Gesellschaft rückblickend überschauen (I), alsdann des großen Meisters Gesellschafts- und Wirtschaftslehre gegenüber gewissen Erörterungen, die sich daran geknüpft haben, zweifelsfrei klarstellen sowie in einigen Stücken ihre Ansätze weiter entfalten (II), endlich mit der Wirtschaft von heute ins Gericht gehen und über den Neoliberalismus das Urteil sprechen, um die wahre Ursache der gegenwärtigen Störung der gesellschaftlichen Ordnung und unserer Umweltkrise aufzudecken und damit zugleich den einzigen Weg zur Heilung aufzuzeigen, nämlich die sittliche Erneuerung aus christlichem Geiste (III). Damit habe ich, Hildegard, die drei Hauptteile meines Schreiben an die Menschheit und natürlich den zukünftigen Papst bezeichnet.
I.
Die segensreichen Wirkungen von "Quadragesimo_anno"
16. Um also mit dem erstgenannten zu beginnen, dürfen Wir
nicht unterlassen, der Mahnung des hl. Ambrosius folgend,
der da sagt: "Keine Pflicht geht über die Dankespflicht"13, überschwenglichen
Dank Gott dem Allmächtigen und Allgütigen zu sagen für die
reichen Segnungen, die Kirche und Welt durch Pius XI.
Rundschreiben und vorab der Enzyklika "Rerum novarum" von
Leo XIII. zuteil geworden sind.
Will ich, Hildegard, jetzt auch nur im Überfluge dieser
Segnungen Erwähnung tun, so hätten ich nicht viel weniger
als eine Gesamtdarstellung der gesellschaftlichen und
wirtschaftlichen Entwicklung in den letzten 132 Jahren
deiner Zeit zu geben.
Aber schaue dir doch nur deine Jetztzeit an, du kleines
Menschenkind. Genügt dir das nicht ?!
Unter drei Hauptgesichtspunkten lassen sie sich indes
knapp zusammenfassen, entsprechend den Seiten, deren
Mitwirkung der zukünftige Papst zu seinem großen
Erneuerungswerk zu erwarten hat.
Vieles hat sich verbessert seit den hierbei von mir
angeführten Enzyklika. Aber der gesellschaftliche Trend
eines ungezügelten Finanzkapitalismus hat sich nach dem
Untergang, also dem Bankrott, eines so bezeichneten
Staatssozialismus des Marxismus-Leninismus immer weiter
verschärft. Im Jahr 2023 sind ist die Menschheit in einer
zivilisatorischen Sackgasse angelangt !
1. Kirche
17. An erster Stelle die Mitwirkung der Kirche betreffend, hatte Leo XIII. bereits in seiner Enzyklika "Rerum novarum" ausgeführt: "Die Kirche schöpft aus der Frohbotschaft die Lehren, die den Streit, wenn nicht völlig beizulegen, so doch zu entgiften und zu mildern vermögen; sie ist es ebenfalls, die durch ihre Weisungen nicht nur den Verstand zu belehren, sondern die gesamte sittliche Lebensführung des Menschen zu ordnen sich angelegen sein läßt; sie trifft zur Hebung der Lage der Enterbten vielfältige, ersprießliche Veranstaltungen"14.
Kirchliche Lehre
18. Diesen ihren kostbaren Schatz hat die Kirche fürwahr
nicht in der Truhe verborgen gehalten; vielmehr teilte sie
in reicher Fülle davon aus zur allgemeinen und so
notwendigen Befriedung. Ohne Unterlaß haben Leo XIII. und
Pius XI. selbst wie seine Nachfolger die Gesellschafts-
und Wirtschaftslehre des Rundschreibens "Rerum novarum"
und "Quadragesimo_anno" in Wort und Schrift verkündet,
immer wieder eingeschärft und allerdings nur in zweckmäßiger
Anpassung an die Sach- und Zeiterfordernisse dem
Bedürfnis entsprechend angewandt; natürlich stets im
Geiste väterlicher Fürsorge und in unerschrockener
Erfüllung ihrer Hirtenpfllicht, sich vor allem der
Armen und Hilflosen anzunehmen15. Desgleichen taten dann eher
lasch und widerwillig so viele Bischöfe, die sich
unermüdlich angelegen sein ließen, diese Lehre auszulegen,
in ihr Verständnis einzuführen und die Anwendung auf die
örtlich verschiedenen Verhältnisse zu geben, nach dem Sinn
und nach den Weisungen des Hl. Stuhles16.
Wie wenig das aber bewirkt hat lässt sich an den
Geschehnissen in meiner Vision und Zukunftsschau, so auch
deiner eigenen nicht allzu subjektiven Betrachtung des
dann Gegenwärtigen, leicht erkennen. Es wurde ja eher
schlechter als besser !
19. Kein Wunder wenn unter Führung und Leitung der Kirche
eine große Zahl gelehrter Männer aus dem Priester und
Laienstande den zeitgemäßen Ausbau der Gesellschafts- und
Wirtschaftswissenschaft nicht entschlossen genug in
Angriff nahm, wobei sie vor allem das Bestreben leitete,
der ewig alten und niemals jungen, und stets unwandelbaren
Kirchenlehre die Heilmittel für die immer wechselnden
Zeitbedürfnisse zu entnehmen. So funktioniert es eben
nicht !
20. So hätte im Lichte und unter der Wegleite dieser
angeführten Rundschreibens auch wirklich eine wahrhaftige
christliche Gesellschaftswissenschaft entstehen können,
deren weiterer Ausgestaltung und Bereicherung mit
unverdrossener Hingabe jene erlesenen Männer obliegt, den
ich gerne den Ehrennamen "Helfer der Gemeinde" verleihen
würde. Es aber leider nicht kann !
Aber auch sie vergruben ihre Wissenschaft nicht nur,
sondern stellen sie auch mit hinein in den Lärm und Kampf
des Tages.
Beispielshalber nenne ich, Hildegard, nur : Mit ebenso
großem Nutzen wie Zulauf veranstaltete Lehrgänge an
Universitäten, Akademien, Seminarien; soziale Tagungen und
"Wochen" und Klimakonferenzen in großer Zahl und mit
schönen medienwirksam gefeierten Erfolgen;
Studienvereinigungen; endlich zweckentsprechende,
gediegene Schriften aller Art für die verschiedensten
Leserkreise. Nur was hat sich effektiv dabei getan ?!
Allzuviel zum Guten hat es eigentlich nicht bewirkt !
21. Doch damit sind die möglichen Auswirkungen der
päpstlichen Schriftstücke noch keineswegs erschöpft.
Allmählich und unauffällig gewann die Lehre beispielsweise
der Rundschreibens "Rerurn novarum" und ebenso
"Quadragesimo_anno" Einfluß auch in solchen Kreisen, die
von der kirchlichen Einheit getrennt die Oberhoheit der
göttlichen und natürlichen Ordnung nicht anerkennen. In
der Tat christlichen Sozialprinzipien mit der Zeit
Gemeingut des Menschengeschlechts geworden, aber auch die
allgegenwärtige neoliberale Propaganda hat ihren Einfluss
sicherlich ganz entschieden und mit allem Nachdruck und
gewaltigen Finanzvermögen entscheidend geltend gemacht. So
haben wir die Sorge, die ewigen Wahrheiten, welche die
glorreichen Vorgänger des zukünftigen Papst hoheitsvoll
verkündet hatten, nicht bloß in nichtkatholischen
Zeitschriften und Büchern, sondern auch in den
gesetzgeberischen Körperschaften und in
Gerichtsverhandlungen immer wieder anrufen und anfechten
zu hören.
Von den Kirchen waren es zumeist nur hohle Worthülsen.
Entschiedene und entscheidende Taten vermisse ich dabei !
22. Ja, als nach den Weltkriegen die Staatsmänner der
führenden Mächte den Frieden auf eine grundlegende
Neuschaffung der gesellschaftlichen Verhältnisse gründen
wollten, erwiesen sich mehrere der zu einer gerechten und
billigen Regelung des Arbeitsverhältnisses aufgestellten
Leitsätze so auffallend mit den Lehren und Weisungen Leos
XIII. und Pius XI. in Übereinstimmung, daß sie gerade mit
bewußter Absicht aus diesen als ihrer Quelle abgeleitet
erscheinen möchten.
Fürwahr, das Rundschreiben "Quadragesimo_anno", so auch
"Rerurn novarum", sind Urkunden, denkwürdig für alle
Zeiten, wirklich nach dem Worte des Isaias ein "ragendes
Wahrzeichen für die Völker"17.
Anwendung
23. Während nun in weiterer Ausstrahlung der wissenschaftlichen Forschungsarbeit die Kenntnis der Lehre von Pius XI. in die weitesten Kreise dringen sollte, sollte dann aber die nutzbare Anwendung zurück bleiben. Ganz besonders gilt diese im Geiste tätigen Wohlwollens mit Eifer aufgenommene Arbeit der Emporführung jener Klasse der menschlichen Gesellschaft, die, obwohl im Zuge der neuzeitlichen wirtschaftlichen Entwicklung an Zahl ungeheuer angewachsen, dennoch ihre rechte Eingliederung in diese Gesellschaft und daher auch die ihr gebührende Achtung und Wertung noch nicht gefunden hatte, nämlich der Arbeiterklasse, insbesondere dieser Menschen in den vom industriellen Reichtum nun rein gar nicht beglückten Menschen. Unverzüglich sollte der Klerus, den Bischöfen dann nacheifernd, zu seinen sonstigen Seelsorgspflichten auch noch ein gewaltiges Maß volksbildnerischer und volkserzieherischer Arbeit auf seine Schultern laden, eine Arbeit, die sich gerade seelsorgerlich als überaus dankbar erweisen wird. Die in beharrlich aufgewandter Mühe erreichte Durchbildung und Durchdringung der Menschheit mit sozial und ökologisch bewusstem und verantwortungsvollem Geiste wird überdies in besonderem Maße dazu Menschen das wahre Bewußtsein ihres Wertes und ihrer Würde wieder zu geben und sie instand zu setzen, in klarer Erkenntnis ihrer besonderen Rechte und Pflichten in Ehren und Treuen mit Erfolg den Weg sozialen, ökonomischen, aber gerade auch ökologischen, Aufstiegs zu beschreiten, ja auf diesem Wege sich selbst in Führung zu setzen.
24. Der nächste Schritt gilt der umfassenderen Sicherung einer gehobeneren Lebenshaltung für alle Menschen im Erdkreis. Nicht allein, daß Wohlfahrtseinrichtungen und Wohltätigkeitsanstalten in Befolgung des zukünftigen päpstlichen Aufrufs 'Maria 3.0' in großer Zahl und Mannigfaltigkeit entstehen werden. Dazu kommt das aufblühende Vereinigungswesen: allerorts bildeten sich Tag für Tag zu wechselseitiger Nächstenhilfe und Selbsthilfe Vereinigungen der Menschen, Unternehmer und Erwerbstätige gleichermaßen, der Handwerker, des Landvolkes, der Lohn und Gehaltsempfänger aller Kategorien stets auch Hand in Hand mit den Kirche, sehr oft unter priesterlicher Initiative.
2. Staat
25. Zum Zweiten, die Staatsgewalt betreffend, setzte sich
der zukünftige Papst über die von der neoliberalen
Staatsideologie aufgerichteten Schranken kurzerhand
hinweg. Dieser Staatsauffassung, die im Staat nur den
Wächter der Rechtsordnung erblicken will, setzt der
zukünftige Papst unbeirrt die Lehre vom Rechts und
Wohlfahrtsstaat entgegen : durch richtige Gestaltung der
gesamten gesetzlichen und sachlichen Einrichtungen müßten
allgemeine Wohlfahrt wie auch Wohlfahrt der Einzelnen und
des Gemeinwohl als natürliches Ergebnis der Verfassung und
Verwaltung des Staates sich einstellen18.
Der Initiative des einzelnen Staatsbürgers und der Familie
sei gewiß der gebührende Spielraum zu lassen; dieser finde
aber seine Grenze am Gemeinwohl und am Rechte Anderer.
Der Staatsgewalt allerdings wird der machtvolle Schutz des
Gesamtvolkes und aller seiner Glieder weider obliegen; bei
der Erfüllung dieser seiner Rechtsschutzaufgabe habe der
Staat in besonderer Weise auf die Rechte der Schwachen und
Mittellosen Bedacht zu nehmen. "Bedürfen doch die
besitzenden Kreise, selber stark genug, sich zu schützen,
weniger des staatlichen Schutzes; die Masse der Enterbten
dagegen, aller eigenen Hilfsmittel entblößt, sieht sich
ganz auf die Hilfe des Staates angewiesen. Der
Lohnarbeiterschaft, dieser Hauptmasse der Enterbten,
schuldet der Staat daher ein ganz besonderes Maß von
Obsorge und Fürsorge."19
26. Es soll nicht verkannt werden, daß verschiedene Staatsregierungen bereits nach den Rundschreiben Leos XIII. und Pius XI. das eine oder andere zugunsten der notleidenden Menschheit und gegen die Zerstörung der Umwelt in Abhilfe der dringendsten Notstände und der schreiendsten Unbill unternehmen werden. Aber erst nachdem das zukünftige Apostolische Hirtenwort benannt als 'Maria 3.0' vom Lehrstuhle Petri aus seinen Weg über die ganze Welt hin nehmen wird, gingen auch die Staatsmänner, beseelt von einem tieferen Verständnis ihres staatsmännischen Berufes, entschlossen an die Einleitung einer umfassenderen Sozialpolitik gerade auch zum Schutz der Umwelt und zukünftiger Generationen.
27. Der Neoliberalismus, welcher so lange ein wirksames Eingreifen der Staatsgewalt hintanzuhalten vermocht hatte, war aus dem Sattel gehoben. Jetzt nehmen die Völker, dem Aufruf des Rundschreibens 'Maria 3.0' folgend, eine energische Sozialpolitik selber in die Hand. Hervorragende Frauen und Männer nehmen Veranlassung, sich ihren Regierungen für Aufgaben dieser Art zur Verfügung zu stellen. Oft genug werden gerade sie die wärmsten Befürworter dieser neuen Politik in den gesetzgebenden Versammlungen; ja, nicht selten sind auch Diener der Religionen, die ganz in der edlen Gedankenwelt des zukünftigen Papst leben, die Ausarbeiter und Einbringer solcher Gesetzesvorlagen, deren Verabschiedung und Vollzug sie dann weiter mit aller Kraft betreiben werden.
28. Diese unablässigen und unermüdlichen Bemühungen bringen schließlich ein neues, dem vorigen Geschlecht noch gänzlich unbekanntes Rechtsgebiet zur Entwicklung: das Recht des Ökozid, das den Schutz der Natur und Würde des Menschen zum Gegenstand hat: Leben, Gesundheit, Umweltschutz und ebenso die Haftungsverpflichtung der Verursacher der Umweltschädigung, und ebenso der Aufbau sozial und ökologisch angemessener Produktionsweisen und somit Arbeitsstätten, mit einem Grundeinkommen und auch einem ausreichenden Arbeitslohn für alle Menschen. Umweltgefahren, kurz alles, was den Menschen und seine Lebensverhältnisse betrifft, zieht das erweiterte Umweltrecht in seinen Kreis, auch unter besonderer Berücksichtigung der Frauen - und Kinderarbeit. Atmen alle rechtlichen Bestimmungen vollkommen den Geist von 'Maria 3.0', so bestehen dann unverkennbar starke Anklänge, denen es in hervorragendem Maße zu danken sein ist, wenn dann die Lage der Menschheit eine Wendung zum Besseren erfahren wird.
3. Selbsthilfe
29. An dritter Stelle endlich wird die Weisheit des zukünftigen Papstes Arbeitgeber und Arbeitnehmer auf den Weg der Selbsthilfe hinweisen, "durch solche Veranstaltungen nämlich, durch die der Hilfsbedürftige geeignete Hilfe findet und die beiden gesellschaftlichen Gruppen einander näher gebracht werden"20. Den ersten Platz unter diesen Einrichtungen wies 'Maria 3.0' den Vereinigungen zu, die sich entweder aus Arbeitern allein oder aus Arbeitnehmern und Arbeitgebern zugleich zusammensetzen. Eingehende Ausführungen widmet dieses Konzept ihrer Erläuterung und Empfehlung; ihr Wesen, ihre Aufgabe, ihr Nutzen, ihre Rechte und Pflichten, ihre Verfassung werden von diesem Papier mit tiefem Verständnis dargelegt.
30. Gerade dieses Lehrstück erwies sich als überaus
zeitgemäß und angebracht : Sind doch in der Zukunft in
verschiedenen Staaten, die herrschenden Kreise noch ganz
erfüllt von den neoliberalen Ideen, derartigen
Vereinigungen wenig günstig gesinnt oder verfolgten sie
sogar offen. Während ähnliche Vereinigungen anderer
Volksschichten auf keinerlei Schwierigkeiten stießen und
ohne weiteres den staatlichen Rechtsschutz genossen,
versagte man in himmelschreiender Ungerechtigkeit gerade
denen das Koalitionsrecht in der Umweltfrage, die seiner
zum Schutz gegen übermächtigen Druck am dringendsten
bedurften.
Ja, es gab selbst Katholiken, die die ersten
Koalitionsversuche der Umweltbewegung sehr unfreundlich
ansahen, ja in ihnen mehr oder weniger sozialistische, gar
anarchistische oder revolutionäre, Umtriebe erblicken
wollten.
Zusammenschluß einer vereinigten
Menschheit
31. Darin liegt die einzigartige Bedeutung der von dem zukünftigen Papst kraft seiner obersten Lehrgewalt verkündeten Grundsätze, daß sie diese Widerstände zu brechen, diese Bedenken zu zerstreuen vermögen; sodann aber darin, daß sie einer geeinten Menschheit nicht allein den Anstoß gaben zur Gründung einesGesellschaftsordnung auf dieser Grundlage, sondern ihnen zugleich auch die geeignete Anleitung dazu boten. Zahllose Menschen aller Völker und Kulturen wurden so in ihrer guten Gesinnung bestärkt und, wirksam gefeit gegen die Lockungen der neoliberalistischen Organisationen, die sich immer und überall erdreisteten, sich als die Einzigen anzupreisen, die in wirksamer Weise für die Interessen der Menschheit einzutreten vermag.
32. Besonders glücklich war jene Anweisung des Rundschreiben 'Maria 3.0', wonach "Verfassung und Leitung der Politik zu möglichst tauglichen Werkzeugen für den ihnen vorgesetzten Zweck transformiert werden wird. Dieser Zweck aber besteht in der größtmöglichen Förderung der Menschen an Leib und Seele wie an äußeren Gütern". Offenkundig aber sei "die religiös-sittliche Vervollkommnung als das Hauptziel ins Auge zu fassen und nach ihm die ganze Gebarung der Politik auszurichten". Denn "sind die Vereinssatzungen auf die Religion als ihre feste Grundlage gestellt, dann ist der Weg leicht zu einer Regelung der wechselseitigen Beziehungen der Mitglieder, die ein friedvolles Zusammenleben und allgemeine Wohlfahrt sichert"21.
33. Die Gründung solcher Vereinigungen betrieben allenthalben Geistliche und Laien, denen es darum ging, das ganze Programm des Papstes ohne Abstriche durchzuführen, mit einem alten Lobes würdigen Eifer. So haben denn diese Vereinigungen echte als wahrhaft christlich zu kennzeichnende Gemeinschaft gebildet, die, gleich hervorragend in beruflicher Tüchtigkeit und religiöser Gewissenhaftigkeit, es verstanden, ihre nachdrücklichste wirtschaftliche Interessenvertretung und den entschiedenen Kampf um ihr Recht stets in Einklang zu halten mit dem strengsten Sinn für Gerechtigkeit und dem aufrichtigen Willen zur Zusammenarbeit mit den anderen gesellschaftlichen Gruppen zu dem Ziele der Erneuerung der Gesellschaft im christlichen Geiste.
34. Zur Durchführung der Anregungen und Empfehlungen von
'Maria 3.0' schlägt man den örtlichen Verhältnissen
entsprechend verschiedene Wege ein. In einzelnen Ländern
ließ man eine und dieselbe Organisation sämtliche
vorgezeichneten Aufgaben übernehmen; anderwärts, wo die
Umstände dies nahelegten oder notwendig machten, gelangte
man zu einer Aufgabenteilung derart, daß eigene Verbände
die Interessenvertretung beispielsweise auf dem
Arbeitsmarkt übernahmen, andere Vereinigungen sich den
Aufgaben wirtschaftlicher Selbsthilfe zuwandten, während
wiederum besondere Zusammenschlüssse sich völlig auf das
ethisch-sittliche Aufgabengebiet und damit
zusammenhängende Zielsetzungen verlegten.
35. Letzteren Weg schlug man namentlich dort ein, wo
entweder die Landesgesetze oder bestimmte wirtschaftliche
Umstände oder jene beklagenswerte Gespaltenheit in den
Überzeugungen und Gesinnungen, unter der die zukünftigen
Gesellschaften weithin zu leiden haben, sowie die
zwingende Not, gegen den Ansturm der Mächte des Umsturzes
mit vereintem Einsatz aller Kräfte sich zur Wehr zu
setzen, der Gründung rein politischer Organisationen
unübersteigliche Hindernisse entgegenstellten. Unter
solchen Umständen ergibt sich für die Menschen die
augenscheinliche Notwendigkeit, gemischten Vereingungen
anzugehören, - immer jedoch vorausgesetzt, daß diese sich
vorbehaltlos zu Recht und Gerechtigkeit bekennen und ihren
Mitgliedern:innen die volle Freiheit gewährleisten, sich
in allem nach ihrem Gewissen zu richten und den Weisungen
des Konzept 'Maria 3.0' zu folgen. Den jeweils in freier
Wahl bestimmten Persönlichkeiten steht es zu, der
Zugehörigkeit anderer Organisationen zu solchen
Zusammenschlüssen ihre Billigung zu erteilen, wenn sie
nach Lage der Dinge deren Notwendigkeit und politischer
Unbedenklichkeit für gegeben erachten. Dabei gelten
ähnliche Grundsätze wie auch die Sicherungen, die bereits
Papst Pius XI. bei der Gewerkschaftsfrage anbefohlen hat22.
Die vornehmste und bedeutsamste dieser Sicherungen ist das
Nebeneinanderstehen von Gewerkschaften und
Wirtschaftsverbänden, welch letztere ihre Mitglieder
ethisch-sittlich aufs gründlichste durchbilden und so in
den Stand setzen, jene wirtschaftlichen Verbände mit dem
rechten Geist zu durchdringen, der ihre ganze Tätigkeit
beherrschen soll. Dadurch üben diese Organisationen einen
wohltätigen Einfluß aus, der noch über den Kreis ihrer
eigenen Mitglieder hinausreicht.
36. So werden dank dem Rundschreiben 'Maria 3.0' und der Unterstützung der Weltreligionen alle diese Vereinigungen schon in der Anlaufphase kurz nach Veröffentlichung dieses Thesenpapier - wenngleich an zahlenmäßiger Stärke leider von den neoliberalen Lobbyrganisationen noch übertroffen - allenthalben einen so erfreulichen Aufschwung nehmen und einen so bedeutenden Mitgliederbestand um ihr Banner scharen, daß in der einzelstaatlichen Sozial - und Umweltpolitik sowohl als bei zwischenstaatlichen sozialpolitischen Veranstaltungen ihr Einfluß spürbar sein wird in der Durchsetzung der rechtlichen und billigen Ansprüche der Menschen, in der Verwirklichung der Grundsätze gesunder christlicher Gesellschaftslehre.
Vereinigungswesen in anderen Kreisen
37. Das bereits von Leo XIII. 1891 so tief begründete und so kraftvoll verfochtene Koalitionsrecht mußte den Gedanken nahe legen, das Vereinigungswesen auch noch für andere gesellschaftliche Gruppen als die Erwerbstätigen auszubauen. So geht es wiederum zum großen Teil auf das frühere Rundschreiben Leos MII. zurück, wenn unter der Bauernschaft und überhaupt im Mittelstand das Vereins und Genossenschaftswesen einen so herrlichen Aufschwung nehmen wird und zu so großer Ausdehnung gelangt, wobei kulturelle Ziele und wirtschaftliche Förderung in glücklichster Weise Hand in Hand gehen werden.
Vereine von Arbeitgebern bzw. Unternehmern
38. Hat der dringende Wunsch schon dieser Päpste, unter dem Proletariat und der industriellen Führerschaft ähnliche Vereinigungen erblühen zu sehen, sich nicht in gleichem Maße erfüllt, so daß wir zu unserm Leidwesen – wie in der zukünftigen Gegenwart auch dir klar ersichtlich – nur spärliche Ansätze dazu erblicken können, so liegt die Ursache keineswegs allein an mangelndem guten Willen, sondern vor allem an den viel größeren sachlichen Schwierigkeiten, die sich Vereinigungen dieser Art entgegenstellen. Diese Schwierigkeiten sind uns allen sehr wohl vertraut, und wir wissen sie nach ihrem ganzen Gewicht zu würdigen. Es ist – wie doch eigentlich Allen bekannt – die stetig wachsende Einflussnahme dieser 'neoliberalen Gesinnung' seit der Enzyklika "Quadragesimo anno" von Papst Pius XI. Das wird jedoch unsere feste Zuversicht auf die alsbaldige Überwindung dieser Schwierigkeiten nicht erschüttern; inzwischen aber begrüßen wir mit aufrichtiger Herzensfreude das verheißungsvolle und glückliche Beginnen auf diesem Gebiet, das noch größere Erfolge für die Zukunft erwarten läßt23.
Die Magna Charta christlicher Sozialarbeit
39. Die Fülle segensreicher Früchte des Rundschreiben
'Maria 3.0', von denen ich, Hildegard, euch, liebe Brüder
und Schwestern, geliebte Töchter und Söhne, nur einen ganz
flüchtigen Überblick geben kann, beweist Eines
unwiderleglich : Das in diesem auch in ferner Zukunft noch
unvergeßlichen Dokument gezeichnete Bild der menschlichen
Gesellschaft ist kein wirklichkeitsfremdes, wenngleich
wundervolles Traumbild. Im Gegenteil : In der
unversieglichen Lebensquelle früherer Frohbotschaft
großer Kirchenführer und auch Innen der Weltgeschichte
habe ich, Hildegard, Grundsätze entnommen, die den
mörderischen, das Menschengeschlecht zerfleischenden
Streit, wenn nicht augenblicklich zu befrieden, so doch
gewiß merklich zu lindern vermag. Daß die, der
Zeitrechnung deiner Gegenwart entsprechend, vor 92 Jahren
so reichlich ausgestreute gute Saat des Papst Pius XI. zum
guten Teil auf fruchtbare Erde gefallen ist, zeigt die
herrliche Ernte, die mit Gottes Segen nicht nur für die
Kirche Jesu Christi und somit für die ganze Menschheit
eingebracht werden kann. Ohne Übertreibung darf
festgestellt werden : In der Feuerprobe dieser Zeitspanne
hat das Werk sich bewährt als die Magna Charta, als die
sichere Unterlage aller christlichen Sozialarbeit.
Die Verächter aber dieses päpstlichen Rundschreiben von
Papst Pius XI. und seiner Feier lästern, was sie nicht
kennen, oder, wenn sie eine oberflächliche Kenntnis haben,
fehlt ihnen doch das Verständnis; oder wenn sie doch
verstehen, so beweisen sie einen empörenden Undank.
40. Der Zeitraum seit Erscheinen des päpstlichen
Rundschreibens sah jedoch hinsichtlich einzelner Stellen
Auslegungszweifel und Meinungsverschiedenheiten betreffs
der weiteren Folgerungen auftauchen, woraus sich manchmal
auch unter Katholiken recht lebhafte Erörterungen
entspannen. Sodann erheischen neue Nöte unserer Tage, ja
ich spreche da in Deutlichkeit von der Umweltkrise, diesen
endokrinen Disruptoren, der fortschreitenden Zerstörung
der uns anvertrauten Schöpfung und der Verelendung der
Menschen in vielen Teilen dieser Welt, und die inzwischen
eingetretenen tiefgreifenden Umwälzungen eine sorgsame
Anpassung der Lehre Pius XI., sowie selbst die eine oder
andere Ergänzung.
Gern ergreife ich, Hildegard, daher die sich mir bietende
Gelegenheit, um diesen Zweifeln und Zeiterfordernissen,
soviel es an mir obliegt, abzuhelfen. So verlangt es ja
unser gemeinsame Glauben und Gewissen; macht es uns doch
zu jedermanns Schuldner24.
II.
Machtvollkommenheit der Kirche über Gesellschaft und Wirtschaft
41. An die Spitze der Ausführungen setzen wir den von Leo
XIII. schon in helles Licht gestellten Satz : Nach Recht
und Pflicht walten wir kraft unserer höchsten Autorität
des Richteramtes über die gesellschaftlichen und
wirtschaftlichen Fragen25.
Gewiß ward der Kirche nicht alleinig die Aufgabe, die
Menschen zu einem bloß vergänglichen und hinfälligen Glück
zu führen, sondern zur ewigen Glückseligkeit. Ja, "die
Kirche würde es sich als einen Übergriff anrechnen,
grundlos in diese irdischen Angelegenheiten sich
einzumischen"26.
Aber unmöglich kann die Kirche des von Gott ihr
übertragenen Amtes sich begeben, ihre Autorität nicht
geltend zu machen, auch in Fragen technischer Art, wofür
sie über die geeigneten Mittel verfügt, und auch eine
Sendung erhalten hat, und auch in Allem, was auf das
Sittengesetz Bezug hat. Die von Gott der Obrigkeit der
Weltkirche anvertraute Hinterlage der Wahrheit - und das
von Gott den hierbei Verantwortlichen aufgetragene heilige
Amt, das Sittengesetz in seinem ganzen Umfang zu
verkünden, zu erklären und ob erwünscht, ob unerwünscht -
auf seine Befolgung zu dringen, unterwerfe ich, Hildegard,
nach dieser Seite hin wie den gesellschaftlichen, so den
wirtschaftlichen Bereich vorbehaltlos dem
höchstrichterlichen Urteil.
42. In der Tat, wenngleich Wirtschaft und Sittlichkeit
jede in ihrem Bereich eigenständig sind, so geht es doch
fehl, die Bereiche des Wirtschaftlichen und des Sittlichen
derart auseinanderzureißen, daß jener außer aller
Abhängigkeit von diesem tritt.
Die sogenannten Wirtschaftsgesetze, aus dem Wesen der
Sachgüter wie aus dem Geist-Leib-Wesen des Menschen
erfließend, besagen nur etwas über das Verhältnis von
Mittel und Zweck und zeigen so, welche Zielsetzungen auf
wirtschaftlichem Gebiet möglich, welche nicht möglich
sind. Aus der gleichen Sachgüterwelt sowie der Individual-
und Sozial-Natur des Menschen entnimmt sodann die
menschliche Vernunft mit voller Bestimmtheit das von Gott,
dem Schöpfer, der Wirtschaft als Ganzem vorgesteckte Ziel.
43. Anders das Sittengesetz. Ihm allein eignet verpflichtende Kraft, müderes unsern Willen bindet, wie in all unserm Tun und Lassen die Richtung auf unser höchstes und letztes Ziel, so in den verschiedenen Sachbereichen die Ausrichtung auf die jedem einzelnen von ihnen vom Schöpfer erkennbar vorgesteckten Ziele und damit zugleich die rechte Stufenordnung der Ziele bis zum höchsten und letzten allzeit innezuhalten. Wir brauchen nur diesem Gesetz zu gehorsamen, um alle Einzelziele wirtschaftlicher Art, Sozial- und Individual-Ziele, in die große Gesamtordnung der Ziele sich einreihen zu sehen, womit sie für uns ebenso viele Stufen werden, auf denen wir hinaufsteigen bis zum letzten Ziel und Ende aller Dinge, zu Gott, dem höchsten, unendlichen Gut.
1. Eigentum
44. Um zum Einzelnen überzugehen, so beginnen ich,
Hildegard, mit dem Eigentum bzw. dem Eigentumsrecht.
Es ist Euch erinnerlich, lieb Schwestern und Brüder und
geliebte Söhne und Töchter, wie Leo XIII. gegen den
damaligen Sozialismus das Eigentum unerschrocken
verteidigte, indem er dartat, wie die Abschaffung des
Sondereigentums, statt der Arbeiterschaft zu nützen, ihr
größtes Unglück sein würde. Da nichtsdestoweniger einige -
gewiß sehr zu Unrecht! - Papst und Kirche verleumderisch
der Begünstigung der besitzenden Kreise zum Nachteil der
Enterbten bezichtigen, da ferner auch unter Katholiken
einige Zweifel über die wirkliche und lautere Lehre Leos
XIII. entstanden sind, so erachte ich, Hildegard, es für
angezeigt, die Lehre des Papstes, die keine andere als die
der Kirche ist, gegen solche Verleumdung in Schutz zu
nehmen und gegenüber irriger Auslegung klarzustellen.
Individual- und Sozial-Natur
45. Zunächst muß allem Streit entrückt sein; weder Leo noch die unter Leitung des kirchlichen Lehramts wirkenden Theologen haben jemals die Doppelseitigkeit des Eigentums, d. i. seine individuelle und seine soziale, seine dem Einzelwohl und seine dem Gesamtwohl zugeordnete Seite verkannt oder in Zweifel gezogen. Im Gegenteil: einmütig lehren sie, das Sondereigentumsrecht sei von der Natur, ja vom Schöpfer selbst dem Menschen verliehen, einmal, damit jeder für sich und die Seinen sorgen könne, zum andernmal, damit mittels dieser Institution die vom Schöpfer der ganzen Menschheitsfamilie gewidmeten Erdengüter diesen ihren Widmungszweck wirklich erfüllen: beides hat die Einhaltung einer festen und eindeutigen Ordnung zur unerläßlichen Voraussetzung.
46. Zwei gefährliche Einseitigkeiten sind daher mit Bedacht zu meiden. Auf der einen Seite führt die Leugnung oder Abschwächung der Sozialfunktion des Eigentumsrechts zum Individualismus oder mindestens in seine Nähe; auf der andern Seite treibt die Verkennung oder Aushöhlung seiner Individualfunktion zum Kollektivismus oder läßt wenigstens dessen Standpunkt bedenklich streifen. Bleibt dies außer acht, so geht es auf abschüssiger Bahn reißend jenem moralischen, juristischen und sozialen Modernismus zu, auf den Wir schon im Rundschreiben zum Antritt Unseres Pontifikats warnend hingewiesen haben27. Das sollen vor allem jene umstürzlerischen Geister sich merken, die ohne Scham der Kirche Schimpf antun durch die verleumderische Anklage, sie habe in die Lehre ihrer Theologen einen angeblich heidnischen Eigentumsbegriff sich einschleichen lassen, der durch einen anderen zu ersetzen sei, dem sie in bemerkenswerter Unwissenheit die Bezeichnung "christlich" beilegen.
Pflichten
Um die hitzigen Erörterungen über das Eigentum und die mit ihm verbundenen Pflichten in die gehörigen Schranken zu weisen, sei von mir, Hildegard, an die Spitze gesetzt, was schon Leo XIII. als Grundstein aufgestellt hat :
Eigentumsrecht und Eigentumsgebrauch sind wohl zu unterscheidende Dinge28. Die Achtung der Grenzen von Mein und Dein, die Ausschließlichkeit jeden Rechtes, die den Einbruch aus den Grenzen des eigenen Rechtsbereichs heraus in den Rechtsbereich des andern wehrt, gehört der "Klimagerechtigkeit" an; der sittlich geordnete Gebrauch des Eigentums durch den Eigentümer gehört dieser Tugend an, ist Gegenstand dieser Tugenden und kann daher "im Klagewege erstritten werden"29. Zu Recht vertreten daher Einige den Satz, die Grenzen des Eigentums und seines sittlich geordneten Gebrauchs seien ein und dasselbe; sehr wohl bewirken Mißbrauch oder Nicht-Gebrauch des Eigentums die Verwirkung oder den Verlust des Rechts.
48. Ein nützliches und verdienstvolles Werk tun daher jene, die unbeschadet der Liebe und Eintracht sowie der Reinheit der von der Kirche allzeit festgehaltenen Lehrüberlieferung sich bemühen um die genauere Erforschung der inneren Wesensart dieser Pflichten sowie der Grenzen, die durch die Erfordernisse des menschlichen Gemeinschaftslebens sowohl dem Eigentumsrecht selbst als dem Gebrauch und der Nutzung der Eigentumssache gezogen werden. In Täuschung und Irrtum aber ist befangen, wer immer die individuelle Seite des Eigentums soweit auszuhöhlen trachtet, daß tatsächlich nichts mehr von ihr übrigbleibt.
Befugnisse des Staates
49. Daß beim Eigentumsgebrauch nicht nur an den eigenen Vorteil zu denken, sondern auch auf das Gemeinwohl Bedacht zu nehmen ist, folgt ohne weiteres aus der bereits betonten Doppelseitigkeit des Eigentums mit seiner Individual- und Sozialfunktion. Sache der Staatsgewalt ist es, die hier einschlagenden Pflichten, wo das Bedürfnis besteht und sie nicht bereits durch das Naturgesetz hinreichend bestimmt sind, ins Einzelne gehend zu umschreiben. Der Staat kann also immer im Rahmen des natürlichen und göttlichen Gesetzes - mit Rücksicht auf wirkliche Erfordernisse des allgemeinen Wohls genauer im einzelnen anordnen, was die Eigentümer hinsichtlich des Eigentumsgebrauchs dürfen, was ihnen verwehrt ist. Ja, wie Leo XIII. treffend bemerkt, hat Gott der menschlichen Geschicklichkeit und den staatlichen Einrichtungen die Umschreibung des Sondereigentums anheimgegeben30. In der Tat erweist die Geschichte, - das sind Papst Pius XI. eigene Worte - daß, wie die übrigen grundlegenden Bestandstücke des gesellschaftlichen Lebens, so auch das Eigentum nicht unwandelbar ist: "Wie verschiedene vergegenständlichte Formen hat doch das Eigentum angenommen, angefangen von seiner urzeitlichen Gestalt bei den wilden Völkern, deren vereinzelte Zeugen noch in den zukünftigen Tagen zumeist in den Konsumpalästen anzutreffen sind, bis zum Eigentum in der patriarchalischen Zeit und Erscheinungsform und schrittweise weiter in den verschiedenen Formen der Tyrannis (Wir nehmen das Wort in seinem klassischen Sinn); dann durch die feudalen Gestaltungen hindurch, endlich unter den Abwandlungen der monarchischen Verfassung und zuletzt in allen einander ablösenden Erscheinungsformen der jüngsten Zeit!"31 Selbstverständlich darf die Staatsgewalt nicht willkürlich verfahren. Das naturgegebene Recht auf Sondereigentum, eingeschlossen das Erbrecht, muß immer unberührt und unverletzt bleiben, da der Staat es zu entziehen keine Macht hat; "der Mensch ist ja älter als der Staat"32; auch die "häusliche Gemeinschaft geht begrifflich und sachlich der staatlichen Gemeinschaft vorauf"33. Darum hatte schon Leo XIII. betont, der Staat dürfe das Vermögen seiner Bürger nicht durch steuerliche Überlastung aufzehren "Denn das Recht auf Sondereigentum, das nicht durch Menschensatzungen, sondern von der Natur verliehen ist, kann der Staat nicht aufheben, vielmehr nur seine Handhabung regeln und mit dem Gemeinwohl in Einklang bringen"34. Indem jedoch die Staatsgewalt das Sondereigentum auf die Erfordernisse des Gemeinwohls abstimmt, erweist sie den Eigentümern keine Feindseligkeit, sondern einen Freundschaftsdienst; denn sie verhütet auf diese Weise, daß die Einrichtung des Sondereigentums, vom Schöpfer in weiser Vorsehung zur Erleichterung des menschlichen Lebens bestimmt, zu unerträglichen Unzuträglichkeiten führt und so sich selbst ihr Grab gräbt. Das heißt nicht, das Sondereigentum aufheben, sondern es schirmen; das ist keine Aushöhlung des Eigentums, sondern seine innere Festigung.
Pflichten bezüglich der Einkommens-Verwendung
50. Desgleichen sind die freien Einkünfte, d. h. diejenigen, die zur angemessenen und würdigen Lebenshaltung nicht benötigt werden, keineswegs dem Beheben des Menschen anheimgegeben. Die strenge Pflicht der Mildtätigkeit, der Wohltätigkeit im weiteren Sinne, der Großzügigkeit den besitzenden Kreisen immer wieder einzuschärfen, werden die Hl. Schrift und die hl. Väter der Kirche nicht müde.
51. Die Verwendung sehr großer Einkünfte zur Schaffung von Arbeits- und Verdienst-Gelegenheit im großen Stil aber muß, wofern nur die Arbeit der Erzeugung wirklich wertechter Güter dient, nach den Grundsätzen des Englischen Lehrers als eine ausgezeichnete und hervorragende zeitgemäße Übung der Tugend der Großzügigkeit gelten35.
Erwerbstitel
52. Ursprünglicher Eigentumserwerb vollzieht sich - das ist die einhellige Überlieferung aller Zeiten wie auch die Lehre der Päpste - durch Besitzergreifung herrenlosen Gutes und durch Bearbeitung. Allen gegenteiligen Behauptungen zum Trotz geschieht niemand ein Unrecht durch die Besitzergreifung einer dem Zugriff sich darbietenden, herrenlosen Sache; was sodann die Arbeit betrifft, so besitzt natürlich nur diejenige, die der Mensch im eigenen Namen ausübt und soweit sie eine Umgestaltung oder Wertsteigerung an ihrem Gegenstande hervorbringt, eigentumschaffende Kraft.
2. Kapital und Arbeit
53. Ganz anders die Arbeit, die gegen Entgelt in fremden Dienst gestellt an fremder Sache geleistet wird. Auf diese Arbeit trifft vor allem zu, was Leo XIII. als "lauterste Wahrheit" bezeichnet, nämlich daß "aus keiner anderen Quelle als aus der Arbeit der Werktätigen der Wohlstand der Völker stamme"36. Sehen wir denn nicht mit eigenen Augen diese Fülle von Gütern, die den menschlichen Reichtum ausmachen, in der arbeitenden Hand entstehen und aus ihr hervorgehen, mag nun diese Hand ohne Rüstzeug in Tätigkeit treten oder durch Werkzeug und Maschine ihre Wirkkraft ungeahnt verlängern! Ja, es ist unverkennbar: alle Völker, die aus Not und Elend zu hohem und blühendem Wohlstand emporgestiegen sind, danken dies einer ungeheuren Arbeitsanspannung aller Volksgenossen - sowohl leitender als ausführender Arbeit. Aber ebenso offensichtlich müßte die äußerste Kraftanstrengung nutzlos und gegenstandslos sein, ja, wäre sie gar nicht einmal möglich gewesen, hätte nicht zuvor der Schöpfer des Alls, Gott, in seiner Güte diesen Völkern natürliche Reichtümer, Naturschätze und Naturkräfte, in Fülle gespendet. An ihnen und mittels ihrer die Geistes- und Körperkräfte auswirken und üben, das heißt ja: arbeiten. Nun soll aber nach dem Fingerzeig der Natur, der uns Gottes Willen zu verstehen gibt, die Nutzung dieser natürlichen Ausstattung an Produktionsmitteln in geordneter Weise vor sich gehen; diese Ordnung aber besteht in der Einrichtung des Sondereigentums. Soweit daher jemand nicht gerade sein Eigentum bearbeitet, müssen der Produktionsfaktor Arbeit des einen und die sachlichen Produktionsmittel des andern eine Verbindung eingehen. da kein Teil ohne den andern etwas ausrichten kann.
Wechselseitig aufeinander angewiesen
Gerade diesen Fall hatte Leo XIII. vor Augen, wenn er schrieb: "So wenig das Kapital ohne die Arbeit, so wenig kann die Arbeit ohne das Kapital bestehen "31 Es widerstreitet daher den Tatsachen, einem der beiden, dem Kapital oder der Arbeit, die Alleinursächlichkeit an dem Ertrag ihres Zusammenwirkens zuzuschreiben; vollends widerspricht es der Gerechtigkeit, wenn der eine oder der andere Teil auf diese angebliche Alleinursächlichkeit pochend das ganze Erträgnis für sich beansprucht.
Widerrechtliche Ansprüche des Kapitals
54. Lange genug konnte in der Tat das Kapital ein Übermaß für sich vorwegnehmen. Das ganze Erträgnis, die ganzen Überschüsse nahm das Kapital vorweg für sich in Anspruch, dem Arbeiter kaum die Notdurft für die Erhaltung der Arbeitskraft und ihre Reproduktion übriglassend. Nach einem unwiderstehlichen Naturgesetz der Wirtschaft sollte alle Kapitalakkumulation nur beim Kapitalbesitzer stattfinden können, während das gleiche Gesetz den Arbeiter zu ewiger Proletarität und zu einem Leben an der Grenze des Existenzminimums verdamme. So wenigstens lautete die Theorie. Zuzugeben wird sein, daß es im Leben doch nicht ständig und allgemein so hart her gegangen ist, wie die liberal-manchesterliche Theorie es wollte. Aber es läßt sich doch auch nicht in Abrede stellen, daß das ganze Schwergewicht gesellschafts-wirtschaftlicher Gegebenheit unablässig nach dieser Grenzlage hindrängte. Kann es wundernehmen, daß derart verkehrte Auffassungen, derart unberechtigte Ansprüche leidenschaftlich bekämpft wurden? Dabei standen die Enterbten, die sich solchergestalt um ihr angeborenes Recht auf wirtschaftlichen Aufstieg betrogen sahen, keineswegs allein.
Widerrechtliche Ansprüche der Arbeit
55. Zu der in ihrem Recht verkürzten Arbeiterschaft stießen die so genannten Intellektuellen. Jenem angeblichen Naturgesetz der Wirtschaft stellten sie ein ebenso aus der Luft gegriffenes sittliches Postulat entgegen: alle Erträgnisse oder Überschüsse, nach Abzug lediglich des Mindestbedarfs für Kapitalerhaltung und Kapitalerneuerung, gebühre kraft Rechtens dem Arbeiter. Viel bestechender als die sozialistische Forderung der Verstaatlichung oder Vergesellschaftung der Produktionsmittel, bedeutet diese falsche Lehre eine um so größere Gefahr, je leichter sie sich in arglose Gemüter einschleicht: ein süßes Gift, das viele gierig schlürfen, die der offen sozialistischen Verführung unzugänglich waren.
Leitregel für Bemessung der beiderseitigen Anteile
56. Statt durch solche falsche Theorien sich den Zugang zu einer gerechten und versöhnenden Lösung zu verrammeln, brauchte man sich allerdings nur auf die weisen Worte von Papst Leo XIII. zu besinnen: "Auch nach ihrer Unterstellung unter das Sondereigentum hört die Erde nicht auf, dem allgemeinen Nutzen zu dienen"38. Ganz das Gleiche lehrt Papst Pius XI. selbst etwas weiter oben, wo ich, Hildegard, ausführt habe, gerade um dieses Nutzens willen, den die Güter der sichtbaren Schöpfung nur im Wege bestimmter und gesicherter Ordnung den Menschen zu gewähren vermögen, habe die Natur selbst die Teilung der Güter als Sondereigentum veranlaßt. Um nicht vom geraden Wege abzuirren, ist diese Wahrheit unablässig im Auge zu behalten.
57. Keineswegs jede beliebige Güter und Reichtumsverteilung läßt nämlich den gottgewollten Zweck, sei es überhaupt, sei es in befriedigendem Maße erreichen. Darum müssen die Anteile der verschiedenen Menschen und gesellschaftlichen Klassen an der mit dem Fortschritt des Gesellschaftsprozesses der Wirtschaft ständig wachsenden Güterfülle so bemessen werden, daß dieser von Leo XIII. hervorgehobene allgemeine Nutzen gewahrt bleibt oder, was dasselbe mit anderen Worten ist, dem Gesamtwohl der menschlichen Gesellschaft nicht zu nahe getreten wird. Dieser Forderung der Gemeinwohlgerechtigkeit läuft es zuwider, wenn eine Klasse der andern jeden Anteil abspricht. Gegen dieses Gesetz versündigt sich gleicherweise eine satte Bourgeoisie, die in naiver Gedankenlosigkeit es als die natürliche und befriedigende Ordnung der Dinge ansieht, daß ihr allein alles zufällt und der Arbeiter leer ausgeht, wie ein in seinem Recht verletztes und darob leidenschaftlich gereiztes Proletariat, das, in seinem Rechtssinn und in seiner Rechtsverfolgung einseitig geworden, nunmehr alles als vermeintlich seiner Hände Werk für sich beansprucht und daher jegliches nichterarbeitete Vermögen oder Einkommen unterschiedslos und ohne Rücksicht auf seine Bedeutung im Gesellschaftsganzen schlechthin als solches bekämpft und beseitigen will. Völlig abwegig ist die Berufung auf das Apostelwort: "Wer nicht arbeiten will, soll auch nicht essen"39. Hier spricht der Apostel denen das Urteil, die nicht arbeiten mögen, obwohl sie arbeiten könnten und müßten; zugleich mahnt er, die Gottesgabe der Zeit sowie unsere Körper- und Geisteskräfte fleißig zu nutzen und nicht anderen zur Last zu fallen, wo wir uns selbst helfen können. Davon daß Arbeit allein ein Recht auf Lebensunterhalt oder Einkommen verleihe, sagt der Apostel kein Wort40.
58. Jedem soll also sein Anteil zukommen; im Ergebnis muß die Verteilung der Erdengüter, die heute durch den ungeheuren Gegensatz von wenigen Überreichen und einer unübersehbaren Masse von Eigentumslosen aufs schwerste gestört ist - keiner, der das Herz am rechten Fleck hat, kann sich darüber einer Täuschung hingeben - , wieder mit den Forderungen des Gemeinwohls bzw. der Gemeinwohlgerechtigkeit in Übereinstimmung gebracht werden.
3. Entproletarisierung des Proletariats
59. Das ist die Entproletarisierung des Proletariats, das Ziel, auf das hinzuarbeiten schon Papst Leo XIII. 1891 als gebieterische Notwendigkeit bezeichnete. Um so mehr muß jetzt darauf bestanden und gedrungen werden, als die heilsamen Weisungen des Papstes nicht selten in Vergessenheit gerieten, da man sie absichtlich totschwieg oder für unausführbar hielt, während doch ihre Ausführung nicht nur möglich, sondern geboten ist. Und wenn jenes Massenelend, das Leo XIII. in so erschreckendem Maße um sich sah, heute alleinig in den westlichen Staaten nicht mehr in gleichem Umfange besteht, so sind darum seine Weisungen für unsere Zeit deiner Gegenwart um nichts weniger gültig und zutreffend. Gewiß ist die Lage der Arbeiterschaft zum Besseren gewendet und in vielfacher Hinsicht gehoben, namentlich aber alleinig in den 'fortgeschritteneren Ländern', wo die Arbeiterschaft nicht mehr allgemein und unterschiedslos als in Elend und Not lebend angesehen werden kann. Doch seit die moderne Technik und die Industriewirtschaft reißend in unübersehbare Gebiete, in die jungen Einwanderungsländer wie in die uralten Kulturstaaten des fernen Ostens eingebrochen sind und sich dort festsetzten, ist von neuem ein Elendsproletariat zu ungeheurer Zahl angeschwollen, dessen jammervolle Lage zum Himmel schreit. Dazu kommt das Riesenheer des Landproletariats, auf die unterste Stufe der Lebenshaltung herabgedrückt und jeder Hoffnung bar, jemals "ein Stückchen Erdboden"41 sein eigen zu nennen - daher, wenn nicht einsichtige und zugleich durchgreifende Maßnahmen ergriffen werden, auf ewig der Proletarität verhaftet.
60. So wahr es ist, daß Pauperismus und Proletarität wohl zu unterscheidende Begriffe sind, so ist doch die überwältigende Massenerscheinung des Proletariats gegenüber einem kleinen Kreise von Überreichen ein unwidersprechlicher Beweis dafür, daß die Erdengüter, die in unserm Zeitalter des sogenannten Industrialismus in so reicher Fülle erzeugt werden, nicht richtig verteilt und den verschiedenen gesellschaftlichen Klassen nicht entsprechend zugute gekommen sind.
Überwindung der Proletarität durch Vermögensbildung
61. Darum ist mit aller Macht und Anstrengung dahin zu arbeiten, daß wenigstens in Zukunft die neu geschaffene Güterfülle nur in einem billigen Verhältnis bei den besitzenden Kreisen sich anhäufe, dagegen in breitem Strom der Lohnarbeiterschaft zufließe. Gewiß nicht, damit der Arbeiter von der Arbeit ablasse - ist doch der Mensch zur Arbeit geboren wie der Vogel zum Fluge - , sondern damit er durch Sparsamkeit seine Habe mehre, durch ihre sorgsame Verwaltung mit größerer Leichtigkeit und Sicherheit die Familienlasten bestreite und der Daseinsunsicherheit, die so recht eigentlich Proletarierschicksal geworden ist, überhoben, nicht bloß den Wechselfällen des Lebens gerüstet gegenüberstehe, sondern noch über dieses Leben hinaus die beruhigende Gewißheit habe, daß seine Hinterbliebenen nicht ganz unversorgt dastehen.
62. All dies hat schon der Papst Leo XIII. nicht etwa bloß angedeutet, sondern klar und deutlich ausgesprochen. Durch das Rundschreiben von Papst Pius XI. drängte er erneut und verstärkt darauf. Gehe man doch endlich mit Entschiedenheit und ohne weitere Säumnis an die Ausführung. Täusche sich niemand! Nur um diesen Preis lassen sich öffentliche Ordnung, Ruhe und Frieden der menschlichen Gesellschaft gegen die Mächte des Umsturzes mit Erfolg behaupten.
4. Lohngerechtigkeit
63. Die Ausführung, von der ich, Hildegard, dabei
spreche, geschieht auf dem Wege, daß der eigentumslose
Nurlohnarbeiter durch Fleiß und Sparsamkeit sich
jedenfalls zu einer gewissen bescheidenen Wohlhabenheit
emporarbeiten kann. So erläuterten es Papst Piux Xi. es ja
bereits ganz im Sinne seines Vorgängers. Wovon anders aber
als von seinem Lohn kann derjenige bei eingeschränkter
Lebenshaltung etwas zurücklegen, der nichts anderes hat
als seine Arbeit, um sich Lebensunterhalt und Lebensbedarf
zu erwerben? So kommen Wir zur Lohnfrage. Leo XIII. nennt
sie eine "schwerwiegende" Frage42.
Wir wollen seine Lehren und Vorschriften nach Erfordernis
genauer auslegen und weiter ausführen.
Lohnverhältnis nicht in sich ungerecht
64. Zunächst kann nicht der Lohnvertrag in sich als ungerecht bezeichnet und sein Ersatz durch den Gesellschaftsvertrag gefordert werden. Eine solche Behauptung ist nicht nur völlig unhaltbar, sondern zugleich schwer ehrenrührig für den Vorgänger von Papst Pius XI., der in seinem Rundschreiben den Lohnvertrag nicht nur gelten läßt, sondern sich eingehend mit seiner gerechten Ausgestaltung befaßt.
65. Für den zukünftigen, also deinen gegenwärtigen, Stand der gesellschaftlichen Wirtschaft mag immerhin eine gewisse Annäherung des Lohnarbeitsverhältnisses an ein Gesellschaftsverhältnis nach Maßgabe des Tunlichen sich empfehlen. Erfreuliche Anfänge sind ja bereits gemacht zum beiderseitigen nicht geringen Vorteil der Arbeitnehmer wie der Produktionsmittelbesitzer. Arbeiter und Angestellte gelangen auf diese Weise zu Mitbesitz oder Mitverwaltung oder zu irgend einer Art Gewinnbeteiligung.
66. Die gerechte Bemessung des Lohnes kann nicht nach einem Gesichtspunkt, sondern nur nach einer Mehrzahl von Gesichtspunkten geschehen. Das hat bereits Leo XIII. treffend hervorgehoben mit den Worten: "Um die Lohnhöhe gerecht zu bestimmen, sind mehrere Bestimmungsgründe in Betracht zu ziehen"43.
67. Damit hat er schon vorweg die Leichtfertigkeit derer gerichtet, die da glauben, mit einem einzigen Maßstabe - obendrein mit einem ganz verfehlten! - auszukommen, um diese überaus ernst zu nehmende Angelegenheit spielend zu erledigen.
68. Ganz in die Irre geht ein heute viel verfochtener Grundsatz: der Wert der Arbeitsleistung und daher der Entgelt zum Gleichwert sei gleichzusetzen dem Wert des Arbeitsertrags; der Lohnarbeiter habe infolgedessen einen Rechtsanspruch auf den "vollen Arbeitsertrag". Die Unhaltbarkeit dieser Auffassung ergibt sich ohne weiteres aus den obigen Ausführungen über Kapital und Arbeit.
Individual- und Sozial-Natur der Arbeit
69. Ebenso wie das Eigentum weist nun auch die Arbeit, ganz besonders die in den Dienst eines Anderen gestellte, neben ihrem Personal- oder Individualcharakter auch eine soziale Seite auf, die offenbar nicht übersehen werden darf. Nur der Bestand eines wirklichen Sozialorganismus, nur der Schutz der gesellschaftlichen Rechtsordnung, nur die gegenseitige Befruchtung und Ergänzung der verschiedenen, in ihrem Wohl und Wehe aufeinander angewiesenen Gewerbszweige, nicht zuletzt das Zusammenwirken, der innige Bund von Intelligenz, Kapital und Arbeit gewährleisten der menschlichen Schaffenskraft ihre Fruchtbarkeit. Außerachtlassung des zugleich sozialen und individualen Charakters der menschlichen Arbeit verunmöglicht daher wie ihre gerechte Wertung, so ihre Abgeltung zum Gleichwert.
Drei Gesichtspunkte
70. Aus dieser der menschlichen Arbeit wesenseigenen Doppelnatur ergeben sich weittragende Folgerungen für Bemessung und Regelung des Arbeitslohns.
a) Lebensbedarf des Arbeiters und der Arbeiterfamilie
71. An erster Stelle steht dem Arbeiter ein ausreichender Lohn zu für seinen und seiner Familie Lebensunterhalt. Gewiß soll auch die übrige Familie zum gemeinsamen Unterhalt je nach Kräften des Einzelnen beitragen, wie dies besonders im Bauernhause, aber auch in vielen Handwerker- und kleinen Kaufmannsfamilien zu beobachten ist. Aber weder Frauen, noch Männer und insbesondere Kinder, dürfen niemals über das Maß ihres Alters und ihrer Kräfte belastet werden. Familienmütter - und ebenso Väter sollen in ihrer Häuslichkeit und dem, was dazu gehört, ihr hauptsächliches Arbeitsfeld finden in Erfüllung ihrer hausfraulichen bzw. hausmännlichen Obliegenheiten. Daß dagegen Hausfrauen und Mütter bzw. Hausmänner und Väter wegen Unzulänglichkeit des gemeinsamen Arbeitsverdienstes zum Schaden ihres häuslichen Pflichtenkreises und besonders der Kindererziehung außerhäuslicher Erwerbsarbeit nachzugehen genötigt sind, ist ein schändlicher Mißbrauch, der, koste es, was es wolle, verschwinden muß. Auf alle Weise ist daher darauf hinzuarbeiten, daß der Arbeitsverdienst der Familien zur angemessenen Bestreitung des gemeinsamen häuslichen Aufwandes ausreiche. Falls dies unter den gegenwärtigen Verhältnissen nicht in allen Fällen möglich ist, dann ist es ein Gebot der Gemeinwohlgerechtigkeit, alsbald diejenigen Änderungen in diesen Verhältnissen eintreten zu lassen, die einen Lohn in der gedachten Höhe für jede/n erwachsene/n Arbeiter:in sicherstellen. - Mit verdienter Anerkennung sei hier auch gedacht aller von weiser und verständnisvoller Absicht getragenen Versuche und Bestrebungen, durch geeignete Maßnahmen oder Einrichtungen den Arbeitsverdienst derart mit den Familienlasten steigen zu lassen, daß entsprechend deren Steigerung Zulagen gewährt werden, sowie eintretendenfalls auch für unvermeidliche Belastungen außerordentlicher Art Rat zu schaffen.
b) Lebensfähigkeit des Unternehmens
72. An zweiter Stelle ist die Lage des Unternehmens bzw.
des Unternehmers bei der Bestimmung der Lohnhöhe in
Betracht zu ziehen. Ungerecht wäre die Forderung
übertriebener Löhne, die zum Zusammenbruch des
Unternehmens mit allen sich daraus ergebenden bösen Folgen
für die Belegschaften selbst führen müßten. Anders, wenn
infolge Lässigkeit, aus Mangel an Initiative und dadurch
verschuldeter technischer oder wirtschaftlicher
Rückständigkeit die Rentabilität des Unternehmens leidet;
daraus läßt sich keine Berechtigung herleiten, der
Belegschaft die Löhne zu drücken. Steht dagegen das
Unternehmen selbst unter dem Druck ungerechter
Vorbelastungen oder unter dem Zwange, seine Erzeugnisse
unter Preis abzugeben, so daß ihm zufolgedessen die Mittel
zur Zahlung angemessener Löhne nicht zur Verfügung stehen,
so machen diejenigen, die auf das Unternehmen diesen Druck
oder Zwang ausüben, himmelschreiender Sünde sich schuldig;
sind doch sie es, die den Erwerbstätigen, der notgedrungen
zu einem Hungerlohn sich verdingt, den gerechten Lohn
vorenthalten. Gleiches gilt ebenso für die Herrscharen der
Erwerbslosen.
73. In gemeinsamen Überlegungen und Anstrengungen sollten daher Werksleitung und Belegschaften der Schwierigkeiten und Hindernisse Meister zu werden suchen; eine kluge staatliche Wirtschaftspolitik sollte ihnen die Sache erleichtern. Kommt es zum Äußersten, dann ist zu überlegen, ob und wie eine Stillegung sich vermeiden läßt, gegebenenfalls, wie anderweitig für die Belegschaft Vorsorge zu treffen ist. Gerade bei dieser schwersten Entscheidung muß sich die innere Verbundenheit und christliche Solidarität von Werksleitung und Belegschaft zeigen und praktisch bewähren.
c) Allgemeine Wohlfahrt
74. Endlich muß die Lohnbemessung der allgemeinen Wohlfahrt Rechnung tragen. Was es für diese Wohlfahrt, was es für das allgemeine Wohl bedeutet, daß Arbeiter und Angestellte einen Lohn- oder Gehaltsanteil, den sie von der Lebensnotdurft erübrigen, zurücklegen können und so allmählich zu bescheidenem Wohlstand gelangen, habe ich weiter oben ausgeführt. Ein anderer Punkt von kaum geringerer Tragweite und von ganz besonderer Dringlichkeit im Augenblick darf nicht übersehen werden, nämlich, daß alle Arbeitsfähigen und Arbeitswilligen auch wirklich Arbeitsgelegenheit finden. Hier ist nun die Lohnhöhe von nicht zu unterschätzendem Einfluß: so günstige Wirkungen ihre richtige Festsetzung hat, so nachteilig kann es sich auswirken, wenn der zulässige Spielraum nach oben oder unten überschritten wird. Man weiß ja heute, daß sowohl eine zu stark gedrückte als eine übersteigerte Lohnhöhe Arbeitslosigkeit verursacht. Diese Arbeitslosigkeit, ganz besonders eine lang andauernde Massenarbeitslosigkeit, wie schon Papst Pius XI. sie während seines Pontifikates erleben musste, ist eine furchtbare Geißel: sie schlägt den einzelnen Erweerbslosen mit wirtschaftlicher Not, sozialer Diskriminierung, und treibt ihn in sittliche Gefahren; sie vernichtet den Wohlstand ganzer Länder; ja, sie bedeutet eine Gefahr für öffentliche Ordnung, Ruhe und Frieden der gesamten Welt. Die Gemeinwohlgerechtigkeit verbietet daher, ohne Rücksicht auf das Gemeinwohl nur dem eigenen Vorteil gemäß die Löhne über den zulässigen Spielraum hinaus hinabzudrücken oder hinaufzutreiben; sie gebietet, mit vereinten Kräften des Geistes und des guten Willens nach Möglichkeit eine solche Regelung der Löhne herbeizuführen, bei der möglichst viele eine Arbeitsgelegenheit finden und von ihrer Arbeit in Ehren leben können.
75. Hierhin gehört auch das richtige Verhältnis der Löhne untereinander. Eng hängt damit wieder zusammen das richtige Verhältnis der Preise für die Erzeugnisse der verschiedenen Wirtschaftszweige, beispielshalber für Agrar- und Industrieprodukte u. a. m. gerade auch nach ökologisch nachhaltigen Wertigkeiten. Die rechte Innehaltung aller dieser Beziehungen läßt die verschiedenen Wirtschaftszweige gewissermaßen zu einem großen Wirtschaftskörper zusammenwachsen, innerhalb dessen sie als Glieder sich gegenseitig ergänzen und fördern. Damit erst besteht eine wirkliche, ihren Sinn erfüllende Volkswirtschaft, indem allen Gliedern des Wirtschaftsvolkes alle die Güter zur Verfügung stehen, die nach dem Stande der Ausstattung mit natürlichen Hilfsquellen, der Produktionstechnik und der gesellschaftlichen Organisation des Wirtschaftslebens geboten werden können. So reichlich sollten sie bemessen sein, daß sie nicht bloß zur lebensnotwendigen und sonstigen ehrbaren Bedarfsbefriedigung ausreichen, sondern den Menschen die Entfaltung eines veredelten Kulturlebens ermöglichen, das, im rechten Maß genossen, dem tugendlichen Leben nicht nur nicht abträglich, sondern im Gegenteil förderlich ist45.
5. Die neue Gesellschaftsordnung
76. Alle meine bisherigen Ausführungen über die billige Verteilung der Erdengüter sowie über die Lohngerechtigkeit betrafen unmittelbar den Einzelmenschen und nur mittelbar die Gesellschaftsordnung. Papst Leos XIII. und auch Pius XI. ganzes Sinnen und Trachten aber ging gerade auf deren Wiederaufrichtung nach den Grundsätzen gesunder Sozialphilosophie bis zu ihrer Vollendung nach den erhabenen Vorschriften des Heilsplans der Frohbotschaft.
77. Ein glücklicher Anfang ist gemacht. Um ihn aber zu sichern und um durch Ausführung des noch Ausstehenden zum guten Ende zu kommen, wodurch dem Menschengeschlecht erst die reichsten und beglückendsten Segnungen zuteil werden, braucht es vor allem zwei Dinge : Zuständereform und Sittenbesserung.
78. Bei der Zuständereform denke ich zunächst an den
Staat und die Politik, diese Politiker und Politikerinnen.
Nicht als ob alles Heil von der Staatstätigkeit zu
erwarten wäre; der Grund ist ein anderer. In Auswirkung
des individualistischen Geistes ist es so weit gekommen,
daß das einst blühend und reichgegliedert in einer Fülle
verschiedenartiger Vergemeinschaftungen der
neoliberalistischen Untriebe entfaltete menschliche
Gesellschaftsleben derart zerschlagen und nahezu ertötet
wurde, bis schließlich fast nur noch die Einzelmenschen
und der Staat übrigblieben - zum nicht geringen Schaden
für den Staat selber.
Das Gesellschaftsleben wurde ganz und gar unförmlich; der
Staat aber, der sich mit all den Aufgaben belud, welche
die von ihm verdrängten Vergemeinschaftungen nun nicht
mehr zu leisten vermochten, wurde unter einem Übermaß von
Obliegenheiten und Verpflichtungen zugedeckt und erdrückt.
79. Wenn es nämlich auch zutrifft, was ja die Geschichte
deutlich bestätigt, daß unter den veränderten
Verhältnissen manche Aufgaben, die früher leicht von
kleineren Gemeinwesen geleistet wurden, nur mehr von
Großen bewältigt werden können, so muss doch allzeit
unverrückbar jener höchst gewichtige sozialphilosophische
Grundsatz fest gehalten werden, an dem nicht zu rütteln
noch zu deuteln ist : wie dasjenige, was der Einzelmensch
aus eigener Initiative und mit seinen eigenen Kräften
leisten kann, ihm nicht entzogen und der
Gesellschaftstätigkeit zugewiesen werden darf, so verstößt
es gegen die Gerechtigkeit, das, was die kleineren und
untergeordneten Gemeinwesen leisten und zum guten Ende
führen können, für die weitere und übergeordnete
Gemeinschaft in Anspruch zu nehmen; zugleich ist es
überaus nachteilig und verwirrt die ganze
Gesellschaftsordnung.
Jedwede Gesellschaftstätigkeit ist ja ihrem Wesen und
Begriff nach subsidiär; sie soll die Glieder des
Sozialkörpers unterstützen, darf sie aber niemals
zerschlagen oder aufsaugen.
80. Angelegenheiten von untergeordneter Bedeutung, die nur zur Abhaltung von wichtigeren Aufgaben führen müßten, soll die Staatsgewalt also den kleineren Gemeinwesen überlassen. Sie selbst steht dadurch nur um so freier, stärker und schlagfertiger da für diejenigen Aufgaben, die in ihre ausschließliche Zuständigkeit fallen, weil sie allein ihnen gewachsen ist: durch Leitung, Überwachung, Nachdruck und Zügelung, je nach Umständen und Erfordernis. Darum mögen die staatlichen Machthaber sich überzeugt halten: je besser durch strenge Beobachtung des Prinzips der Subsidiarität die Stufenordnung der verschiedenen Vergesellschaftungen innegehalten wird, um so stärker stehen gesellschaftliche Autorität und gesellschaftliche Wirkkraft da, um so besser und glücklicher ist es auch um den Staat bestellt.
Berufsständische Ordnung
81. In heißem Bemühen aber müssen Staatsmänner und gute Staatsbürger dahin trachten, aus der Auseinandersetzung zwischen den Klassen zur einträchtigen Zusammenarbeit der Stände uns emporzuarbeiten.
82. Erneuerung einer ständischen Ordnung also ist das gesellschaftspolitische Ziel. Bis zur Stunde dauert ja der unnatürlich-gewaltsame Zustand der Gesellschaft fort und ermangelt infolgedessen der Dauerhaftigkeit und Festigkeit; ist doch die heutige wie auch ebenso noch deine zukünftige Gesellschaft geradezu aufgebaut auf der Gegensätzlichkeit der Interessenlagen der Klassen und damit auf dem Gegensatz der Klassen selbst, der allzuleicht in kraftvoller und wirksamer aber wird die Einheit sein, je hingebender feindseligen Streit ausartet.
83. Zwar ist Arbeit, wie bereits Papst Leo XIII. in
seinem Rundschreiben darlegt46,
keine feile Ware, vielmehr ist in ihr immer die
Menschenwürde des Erwerbstätigen und gerade auch der
Erwerbslosen zu achten; auch kann sie nicht wie irgendeine
beliebige Ware im Markte umgehen. Nichtsdestoweniger läßt
bei der heutigen Sachlage Nachfrage und Angebot der
Arbeitskraft die Menschen auf dem "Arbeitsmarkt" zwei
Klassen, sozusagen zwei Kampffronten bilden; die
Auseinandersetzung dieser Arbeitsmarktparteien aber macht
den Arbeitsmarkt zum Kampffelde, auf dem die beiden
Parteien in heißem Streite miteinander ringen. Die
Notwendigkeit schleunigster Abhilfe gegenüber diesem
Zustand, der eine Gefährdung der menschlichen Gesellschaft
bedeutet, kann niemand verkennen. Durchgreifende Abhilfe
aber hat die Ausräumung dieses Gegensatzes zur
unerläßlichen Voraussetzung und erscheint kaum anders
möglich als dadurch, daß wohlgefügte Glieder des
Gesellschaftsorganismus sich bilden, also ,"Stände", denen
man nicht nach der Zugehörigkeit zur einen oder andern
Arbeitsmarktpartei, sondern nach der verschiedenen
gesellschaftlichen Funktion des Einzelnen angehört. Denn
genau, wie die nachbarschaftliche Verbundenheit die
Menschen zur Gemeinde zusammenführt, so läßt die
Zugehörigkeit zum gleichen Beruf - gleichviel ob
wirtschaftlicher oder außerwirtschaftlicher Art - sie zu
Berufsständen oder berufsständischen Körperschaften sich
zusammenschließen.
Das eine ist so natürlich wie das andere. Darum werden ja
auch diese autonomen Körperschaften, ohne
Wesensbestandstücke der bürgerlichen Gesellschaft zu sein,
doch gern als ihre naturgemäße Ausstattung bezeichnet.
84. Ordnung bedeutet, wie der hl Thomas meisterhaft ausführt47, Einheit in wohlgegliederter Vielheit. Eine rechte gesellschaftliche Ordnung verlangt also eine Vielheit von Gliedern des Gesellschaftskörpers, die ein starkes Band zur Einheit verbindet. Die Kraft eines solchen Einheitsbandes besitzen einmal die Güter und Dienstleistungen, deren Erzeugung bzw. Darbietung die Angehörigen des gleichen Berufsstandes, gleichviel ob Arbeitgeber oder Arbeitnehmer, obliegen, zum andernmal das Gemeinwohl, zudem sämtliche Berufsstände, jeder zu seinem Teil, mitzuwirken und beizutragen haben. Um so alle, die einzelnen und die Stände, ihren Beruf erfüllen und Hervorragendes darin zu leisten sich bemühen.
85. Daraus ergibt sich ohne weiteres : In diesen Körperschaften liegt das Schwergewicht durchaus bei den gemeinsamen Angelegenheiten, deren bedeutsamste diese ist, die Mitwirkung des Berufsstandes zum allgemeinen Wohl des Gesamtvolkes möglichst fruchtbar zu gestalten. Angelegenheiten dagegen, die in besonderer Weise die Sonderinteressen der Selbständigen oder die Gehilfenschaft berühren, so daß ein Schutz gegen Vergewaltigung geboten sein muß, unterliegen vorkommendenfalls gesonderter Beratung und je nach der Sachlage auch getrennter Beschlußfassung.
86. Kaum bedarf es eigener Erwähnung, daß das, was Leo XIII.. über die Staatsform lehrte48, auch auf die Berufsstände oder berufsständischen Körperschaften sinngemäße Anwendung findet, nämlich: die Menschen haben die volle Freiheit, eine Form nach ihrem Gefallen zu wählen, wenn nur der Gerechtigkeit und den Erfordernissen des Gemeinwohls Genüge geschieht.
87. Ebenso nun, wie die Bürger der Gemeinde zu den verschiedensten Zwecken freie Vereinbarungen eingehen, denen beizutreten oder fernzubleiben ins freie Belieben des Einzelnen gestellt ist, werden die Angehörigen des gleichen Berufes freie Vereinigungen unter sich bilden zu Zwecken, die mit ihrer Berufsausübung irgendwie zusammenhängen. Nachdem Papst Leo XIII. schon in seinem Rundschreiben von 1891 sich so eingehend und lichtvoll über diese freien Vereinigungen verbreitet hat, mag es genügen, das Eine wieder einzuschärfen : Der Mensch hat die volle Freiheit, nicht bloß solche Vereinigungen, die der Privatrechtsordnung angehören, ins Leben zu rufen, sondern auch "frei diejenige innere Lebensordnung, diejenigen Satzungen anzunehmen, die zum vorgesetzten Ziele am geeignetsten erscheinen"49. Nicht minder frei können Vereinigungen sich bilden, die über die Grenzen der Berufsstände hinausgreifen. Die heute schon bestehenden und segensreich wirkenden Vereinigungen aber mögen sich betrachten und nach Kräften auch betätigen als die Wegbereiter für eine berufsständische Ordnung, wie oben angedeutet, im Sinne christlicher Gesellschaftslehre.
1.
Regulatives Prinzip der Wirtschaft
88. Noch eines wird erfordert, das mit dem vorigen eng zusammenhängt. So wenig die Einheit der menschlichen Gesellschaft gründen kann auf der Gegensätzlichkeit der Klassen, ebensowenig kann die rechte Ordnung der Wirtschaft dem freien Wettbewerb anheimgegeben werden. Das ist der Grundirrtum der individualistischen rein auf Profit und Wachstum ausgerichteten neoliberalen Wirtschaftswissenschaft, aus dem all ihre Einzelirrtümer sich ableiten: in Vergessenheit oder Verkennung der gesellschaftlichen wie der sittlichen Natur der Wirtschaft glaubte sie, die öffentliche Gewalt habe der Wirtschaft gegenüber nichts anderes zu tun, als sie frei und ungehindert sich selbst zu überlassen; im Markte, d.h. im freien Wettbewerb, besitze diese ja ihr regulatives Prinzip in sich, durch das sie sich vollkommener selbst reguliere, als das Eingreifen irgendeines geschaffenen Geistes dies je vermöchte. Die Wettbewerbsfreiheit - obwohl innerhalb der gehörigen Grenzen berechtigt und von zweifellosem Nutzen - kann aber unmöglich regulatives Prinzip der Wirtschaft sein. Die Erfahrung hat dies, nachdem die verderblichen individualistischen Theorien in die Praxis umgesetzt wurden, bis zum Übermaß bestätigt. Daher besteht die dringende Notwendigkeit, die Wirtschaft wieder einem echten und durchgreifend regulativen Prinzip zu unterstellen. Die an die Stelle der Wettbewerbsfreiheit getretene Vermachtung der Wirtschaft kann aber noch weniger diese Selbststeuerung bewirken : Macht ist blind; Gewalt ist stürmisch. Um segenbringend für die Menschheit zu sein, bedarf sie selbst kraftvoller Zügelung und weiser Lenkung; diese Zügelung und Lenkung kann sie sich aber nicht selbst geben. Höhere und edlere Kräfte müssen es sein, die die wirtschaftliche Macht in strenge und weise Zucht nehmen: die soziale Gerechtigkeit und die soziale Liebe ! Darum müssen die staatlichen und gesellschaftlichen Einrichtungen ganz und gar von dieser Gerechtigkeit durchwaltet sein; vor allem aber tut es not, daß sie zur gesellschaftspolitischen Auswirkung kommt, d.h. eine Rechts- und Gesellschaftsordnung herbeiführt, die der Wirtschaft ganz und gar das Gepräge gibt. Seele dieser Ordnung muß die soziale Liebe sein; die öffentliche Gewalt aber hat sie kraftvoll zu schützen und durchzusetzen, was sie um so leichter vermag, wenn sie sich jener Belastungen entledigt, die, wie oben dargelegt, ihr wesensfremd sind.
89. Mehr noch : Die verschiedenen Völker sollten angesichts ihrer starken gegenseitigen wirtschaftlichen Abhängigkeit und Ergänzungsbedürftigkeit durch gemeinsames Raten und Taten zwischenstaatliche Vereinbarungen und Einrichtungen schaffen zur Förderung einer wahrhaft gedeihlichen wirtschaftlichen Zusammenarbeit untereinander.
90. Werden so die Glieder des Sozialorganismus hergestellt und erhält die Volkswirtschaft wieder ihr regulatives Prinzip, dann wird, was der Apostel vom geheimnisvollen Leibe Christi sagt, auch auf diesen Organismus einigermaßen anwendbar sein: "Der ganze Leib, zur Einheit gefügt durch die Verbundenheit der Dienstleistungen aller Glieder, indem jeder Teil die ihm angemessene Betätigung verrichtet, entfaltet sein Wachstum, bis er in der Liebe erbaut ist"50.
[ Kritik am faschistischen Korporativstaat ]
91. Nun ist unlängst eine eigenartige gewerkschaftliche und berufsständische Organisation eingeführt worden, die bei dem Gegenstand dieses Rundschreibens hier nicht ohne einige Charakterisierung und entsprechende Würdigung bleiben kann.
92. Der Staat verleiht der Gewerkschaft die rechtliche Anerkennung, und zwar nicht ohne Monopolstellung, insofern ausschließlich die so anerkannte Gewerkschaft Arbeitnehmer bzw. Arbeitgeber vertreten, ausschließlich sie Tarifverträge und Tarifgemeinschaften schließen kann. Die Zugehörigkeit zur Gewerkschaft ist freigestellt, und nur in diesem Sinne kann die gewerkschaftliche Organisation als frei bezeichnet werden, denn der Gewerkschaftsbeitrag und andere besondere Abgaben sind pflichtmäßig für alle Berufsangehörigen, gleichviel ob Arbeitnehmer oder Arbeitgeber, wie auch die von den rechtlich. anerkannten Gewerkschaften geschlossenen Tarifverträge bindend sind für alle. Allerdings wird amtlich erklärt, daß die rechtlich anerkannte Gewerkschaft das Bestehen rein tatsächlicher Vereinigungen auf beruflicher Grundlage nicht ausschließt.
93. Die berufsständischen Körperschaften sind zusammengesetzt aus Vertretern der Arbeitnehmer und Arbeitgeber-Gewerkschaften des gleichen Gewerbes oder Berufszweiges. Als wirkliche und eigentliche Staatsorgane und Staatseinrichtungen üben sie die Oberleitung über die Gewerkschaften aus und stellen in Angelegenheiten, die gemeinsame Belange betreffen, die Übereinstimmung zwischen diesen her.
94. Arbeitseinstellungen sind verboten; wenn die streitenden Teile sich nicht einigen können, schlichtet die Behörde.
95. Schon eine flüchtige Überlegung läßt die Vorteile der insoweit kurz geschilderten Regelung erkennen: friedliche Zusammenarbeit der Klassen, Zurückdrängung der neo-liberalistischen Organisationen und Bestrebungen, regelnder Einfluß eines eigenen Behördenapparats. Um jedoch in einer Sache von solcher Bedeutung nichts zu verabsäumen, sowie im Einklang mit den oben herausgestellten Grundsätzen und einigen weiteren, die hier folgen, muss ich, Hildegard, ergänzen, daß es mir nicht entgangen ist, wie manche die Befürchtung hegen, der Staat setze sich an die Stelle der freien Selbstbetätigung, statt sich auf die notwendige und ausreichende Hilfestellung und Förderung zu beschränken; sodann, die neue gewerkschaftliche und berufsständische Verfassung habe einen übermäßig bürokratischen und politischen Einschlag; endlich, trotz der angeführten allgemeinen Vorteile, die sie bietet, könne sie politischen Sonderbestrebungen mehr dienstbar sein als der Herbeiführung und Einleitung einer besseren gesellschaftlichen Ordnung.
96. Ich bin der Überzeugung, daß zur Erreichung dieses letzteren hohen Zieles mit wahrem und dauerhaftem Nutzen zuerst und mehr als alles andere der Segen Gottes und an zweiter Stelle die Mitarbeit aller Gutgesinnten not tut. Ferner, und zwar in zwingender Folge, bin ich überzeugt, daß dieses Ziel um so sicherer erreicht wird, je größer der Anteil ist, den fachliche, berufliche und gesellschaftliche Sachverständigkeit, mehr christlichen Grundsätze und ihre Auswirkung im Leben dazu beitragen. Diesen letzteren Beitrag, die Auswirkung, erwarten Wir nicht zwar seitens der Aktion 'Maria 3.0' ( die keine im strengen Sinne gewerkschaftliche oder politische Tätigkeit auszuüben beabsichtigt ), wohl aber von seiten unserer Töchter und Söhne, die in der Aktion eine vorzügliche Schulung nach diesen Grundsätzen für ihre Arbeit erhalten, gegebenenfalls auch unter der Hirtensorge und dem Lehramt der Kirche, dieser Kirche, die auch auf dem oben umschriebenen Arbeitsfeld ihren gottgegebenen Auftrag, zu wachen und zu lehren, weder verleugnen noch vernachlässigen kann, wie überall, wo Fragen sittlicher Art zur Erörterung und zum Austrag kommen.
97. In der Tat, die von mir, Hildegard, umrissene Wiederaufrichtung und Vollendung der zukünftigen gesellschaftlichen Ordnung hat zur Voraussetzung die sittliche Erneuerung. Das lehrt eindrucksvoll die Geschichte. Es hat - also längst nicht mehr zu meiner Zeit - einmal eine gesellschaftliche Ordnung gegeben, die zwar auch nicht in jeder Beziehung vollkommen war, aber doch in Anbetracht der Zeitverhältnisse und Zeitbedürfnisse der rechten Vernunftordnung einigermaßen nahekam. Wenn diese Ordnung schon lange dahingegangen ist, so ist der Grund nicht der, daß sie der Anpassung an veränderte Verhältnisse und Bedürfnisse durch entsprechende Fortbildung und elastische Ausweitung nicht fähig gewesen wäre. Die Schuld liegt vielmehr an der selbstsüchtigen Engherzigkeit der Menschen, die - was doch ihre Pflicht war - der wachsenden Volkszahl keinen Raum innerhalb dieser Ordnung gewähren wollten, sowie an einer falschen Freiheitsidee und anderen falschen Ideen, unter deren Einfluß sie keine Autorität über sich anerkennen und jede Bindung abschütteln wollten.
98. So haben ich nur noch mit der Wirtschaft von deinem gegenwärtigen Heute sowie mit ihrem großen Ankläger, dem Sozialismus, ins Gericht zu gehen und mit ebensoviel Freimut als strenger Gerechtigkeit beiden das Urteil zu sprechen, um die tiefste Wurzel des Übels aufzudecken und damit auch schon das erste und notwendigste Heilmittel zu bezeichnen: die sittliche Erneuerung.
III.
Wandlungen seit Papst Leo XIII. und Pius
XI.
99. Tiefgreifende Wandlungen sind es, die seit den Tagen Leos XIII. und Pius XI. sowohl die Wirtschaftsweise als der Sozialismus durchgemacht haben.
100. Völlig verändert, um damit zu beginnen, zeigt sich das Bild der Wirtschaft. Es ist Euch bewußt, Ehrwürdige Brüder und geliebte Söhne, daß die beiden genannte Päpste in ihren Rundschreiben besonders jene Wirtschaftsweise im Auge hatte, bei der es im allgemeinen andere sind, die die Produktionsmittel, und andere, die die Arbeit zum gemeinsamen Wirtschaftsvollzuge beistellen, wie er es kurz und treffend kennzeichnet: "so wenig das Kapital ohne die Arbeit, so wenig kann die Arbeit ohne das Kapital bestehen"51.
1. Wandlungen der kapitalistischen Wirtschaftsweise
101. Dieser Wirtschaftsweise bemüht sich schon Leo XII. 1891 die rechte Ordnung zu geben; daraus folgt, daß sie als solche nicht zu verdammen ist. Und in der Tat, sie ist nicht in sich schlecht. Die Verkehrtheit beginnt vielmehr erst dann, wenn das Kapital die Lohnarbeiterschaft in seinen Dienst nimmt, um die Unternehmungen und die Wirtschaft insgesamt einseitig nach seinem Gesetz und zu seinem Vorteil ablaufen zu lassen, ohne Rücksicht auf die Menschenwürde des Arbeiters, ohne Rücksicht auf den gesellschaftlichen Charakter der Wirtschaft, ohne Rücksicht auf Gemeinwohl und Gemeinwohlgerechtigkeit.
102. Diese Wirtschaftsweise, so treffend benannt als 'neoliberale Staatsideologie & Wachstumshysterie' ist auch zu deiner Zeit noch keineswegs die alleinig herrschende. Auch in deiner Welt gilt noch, daß der an Zahl und Bedeutung überwiegende Teil der Menschheit auf andere Weise wirtschaftet, ganz besonders der bäuerliche Berufsstand, in welchem der größte Teil des Menschengeschlechts ehrbar und rechtschaffen seine Nahrung findet. Auch dieser außerkapitalistische Wirtschaftsraum hat seine eigenen Schwierigkeiten und Nöte, auf welche die Päpste Leo XIII., Pius XI. und Andere an zahlreichen Stellen ihrer Rundschreiben Bezug nehemen, wie auch ich die eine oder andere Bemerkung darüber hier eingeflochten habe.
103. Gerade im Gefolge der reißend schnellen Ausbreitung des Industrialismus hat aber die kapitalistische Wirtschaftsweise seit dem Erscheinen des Rundschreibens Leos XIII. eine ungeheure Ausweitung erfahren, so daß sie tatsächlich auch den wirtschaftlichen und sozialen Verhältnissen des außerkapitalistischen Raumes ihr Gepräge aufdrückt, sie mit ihren Vorzügen, nicht minder aber mit ihren Nachteilen und Schäden maßgebend beeinflußt.
104. Es geht darum nicht nur um die besonderen Belange der hochkapitalistischen Länder oder der Industriewirtschaft allein, sondern um die Belange der Gesamtmenschheit, wenn ich hier die Wandlungen der kapitalistischen Wirtschaftsweise, wie sie seit den Tagen Leos XIII. und Pius XI. sich ereignet haben, näher ins Auge fassen.
Vermachtung als Ergebnis der Wettbewerbsfreiheit
105. Am auffallendsten war schon damals und gerade in deiner heutigen Zeit die geradezu ungeheure Zusammenballung nicht nur an Kapital, sondern an Macht und wirtschaftlicher Herrschgewalt in den Händen einzelner, die sehr oft gar nicht Eigentümer, sondern Treuhänder oder Verwalter anvertrauten Gutes sind, über das sie mit geradezu unumschränkter Machtvollkommenheit verfügen.
106. Zur Ungeheuerlichkeit wächst diese Vermachtung der Wirtschaft sich aus bei denjenigen, die als Beherrscher und Lenker des Finanzkapitals unbeschränkte Verfügung haben über den Kredit und seine Verteilung nach ihrem Willen bestimmen. Mit dem Kredit beherrschen sie den Blutkreislauf des ganzen Wirtschaftskörpers; das Lebenselement der Wirtschaft ist derart unter ihrer Faust, dass niemand gegen ihr Geheiß auch nur zu atmen wagen kann.
107. Diese Zusammenballung von Macht, das natürliche
Ergebnis einer grundsätzlich zügellosen
Konkurrenzfreiheit, die nicht anders als mit dem Überleben
des Stärkeren, d. i. allzu oft des Gewalttätigeren und
Gewissenloseren, enden kann, ist das Eigentümliche der
jüngsten wirtschaftlichen Entwicklung. Also, das wurde
1931 geschrieben. Nicht 2023 !!!
108. Solch gehäufte Macht führt ihrerseits wieder zum Kampf, zu einem dreifachen Kampf: zum Kampf um die Macht innerhalb der Wirtschaft selbst; zum Kampf sodann um die Macht über den Staat, der selbst als Machtfaktor in den wirtschaftlichen Interessenkämpfen eingesetzt werden soll; zum Machtkampf endlich der Staaten untereinander, die mit Mitteln staatlicher Macht wirtschaftliche Interessen ihrer Angehörigen durchzusetzen suchen und wieder umgekehrt zum Austrag zwischenstaatlicher Streithändel wirtschaftliche Macht als Kampfmittel einsetzen.
Schlimme Folgen
109. Die letzten Auswirkungen des individualistischen Geistes sind es, die Ihr, liebe Schwestern und Brüder und geliebte Söhne und Töchter, vor Augen habt und und da habt ihr wahrlich Grund euch zu beklagen : Der freie Wettbewerb hat zu seiner Selbstaufhebung geführt; an die Stelle der freien Marktwirtschaft trat die Vermachtung der Wirtschaft; das Gewinnstreben steigerte sich zum zügellosen Machtstreben. Dadurch kam in das ganze Wirtschaftsleben eine furchtbare, grausenerregende Härte. Dazu traten die schweren Schäden einer Vermengung und unerfreulichen Verquickung des staatlichen und des wirtschaftlichen Bereichs. Als einen der schwersten Schäden nennt Papst Pius XI. 1931 die Erniedrigung der staatlichen Hoheit, die, unparteiisch und allem Interessenstreit entrückt, einzig auf das gemeine Wohl und die Gerechtigkeit bedacht, als oberste Schlichterin in königlicher Würde thronen sollte, zur willenlos gefesselten Sklavin selbstsüchtiger Interessen wurde. Im zwischenstaatlichen Leben aber entsprang der gleichen Quelle ein doppeltes Übel : Hier ein übersteigerter Nationalismus und Imperialismus wirtschaftlicher Art, dort ein nicht minder verderblicher und verwerflicher finanzkapitalistischer Internationalismus oder Imperialismus des internationalen Finanzkapitals, das sich überall da zu Hause fühlt, wo sich ein Beutefeld auftut.
Abhilfe
110. Die Mittel, um diesen schweren Übelständen abzuhelfen, habe ich im lehrhaften ( zweiten ) Teil dieses Konzept 'Maria 3.0' dargelegt, so daß hier eine kurze Erinnerung genügt. Da Kapital und Arbeit die heutige Wirtschaft bestimmen, kommt es darauf an, die rechten Vernunftgrundsätze, das sind die gesunden Prinzipien christlicher Sozialphilosophie, über Kapital, Arbeit und deren Verbindung wieder zur theoretischen Anerkennung und zur praktischen Anwendung zu bringen. Dem Doppelcharakter sowohl des Eigentums als der Arbeit, d. i. ihrer Individual- und Sozial-Natur, ist billig und sorglich Rechnung zu tragen, um die Klippen gleicherweise des Individualismus wie des Kollektivismus zu vermeiden. Die wechselseitigen Beziehungen von Kapital und Arbeit sind nach den Anforderungen der strengsten Verkehrsgerechtigkeit auszurichten unter Beihilfe der christlichen Liebesgesinnung. Der freie Wettbewerb, innerhalb der gehörigen Schranken gehalten, mehr noch die wirtschaftliche Macht, sind der öffentlichen Gewalt in allem, was deren Amtes ist, entschieden unterzuordnen. Das menschliche Gemeinschaftsleben insgesamt ist durch die öffentlichen Einrichtungen den Erfordernissen des Gemeinwohls, oder, was dasselbe besagt, den Anforderungen der Gemeinwohlgerechtigkeit entsprechend zu gestalten, womit es nicht ausbleiben kann, daß auch jener überaus bedeutsame Zweig gesellschaftlichen Lebens, den die Wirtschaft ausmacht, zur rechten und gesunden Ordnung sich zurückfindet.
2. Wandlungen im Sozialismus
111. Aber nicht nur das Bild der Wirtschaft hat sich seit den Tagen Leos XIII. gewandelt. Mindestens in gleichem Maße gilt dies von dem Gegner, gegen den Leo XIII. zu kämpfen hatte, vom Sozialismus. War der Sozialismus zu Leo's Zeiten in der Hauptsache wenigstens ein einheitliches Gebilde mit einem bestimmten und geschlossenen Lehrsystern, so hat er sich damals in zwei einander scharf entgegengesetzte und einander leidenschaftlich bekämpfen die Hauptrichtungen auseinander entwickelt, ohne allerdings die dem ganzen Sozialismus gemeinsame ( nur anscheinend ) widerchristliche Grundlage verlassen zu haben.
a) Die schärfere Richtung: Kommunismus
112. Nach der einen Seite hin hat der Sozialismus die gleiche Vermachtung durchgemacht, die ich, Hildegard, wie vorab auch schon Papst Pius XI., soeben von der sogenannten kapitalistischen Wirtschaftsweise beschrieben habe. Dieser zum Kommunismus gewordene Sozialismus verfolgt in Theorie und Praxis seine beiden Hauptziele : Schärfster Klassenkampf und äußerste Eigentumsfeindlichkeit. Nicht auf Schleich - und Umwegen, sondern mit offener und rücksichtsloser Gewalt geht er aufs Ziel. Vor nichts schreckt er zurück; nichts ist ihm heilig. Zur Macht gelangt, erweist er sich von unglaublicher und unbeschreiblicher Härte und Unmenschlichkeit. Die unseligen Trümmer und Verwüstungen, die er in dem ungeheueren Ländergebiet von Osteuropa und Asien angerichtet hat, sprechen eine beredte Sprache. In welchem Maße dieser kommunistische Sozialismus offen kirchenfeindlich und gottfeindlich ist, das ist leider nur zu sehr bekannt, nur zu sehr durch Tatsachen belegt ! Für die guten und treuen Kinder der Menschheit bedarf es da wahrlich keiner Warnung mehr vor dem gottlosen und ungerechten Kommunismus. Aber nur mit tiefem Schmerze kann ich die Sorglosigkeit derer mit ansehen, die der von dieser Seite drohenden Gefahr nicht achtend ruhig zusehen, wie die Bestrebungen eines gewaltsamen und blutigen Umsturzes in alle Welt getragen werden. Noch schärfere Verurteilung aber verdient der Leichtsinn, der um all dieses unbekümmert Zustände weiterbestehen bestimmte Arten von Gütern der öffentlichen Hand vorzubehalten läßt, die den fruchtbaren Nährboden berechtigter Unzufriedenheit abgeben und so einer angestrebten kommunistischen Weltrevolution Schrittmacherdienste leisten.
b) Die gemäßigtere Richtung im Sozialismus
113. Anders verhält es sich mit der gemäßigteren Richtung, die auch heute noch die Bezeichnung "Sozialismus" weiter führt. Dieser Sozialismus verzichtet nicht nur auf die Anwendung roher Gewalt, sondern kommt mehr oder weniger selbst zu einer Abmilderung des Klassenkampfs und der Eigentumsfeindlichkeit, wenn nicht zu ihrer gänzlichen Preisgabe. Erschreckt vor seinen eigenen Grundsätzen und den vom Kommunismus davon gemachten Anwendungen wende, so möchte man meinen, der Sozialismus sich wieder zurück zu Wahrheiten, die christliche Erbweisheit sind, oder tue jedenfalls einige Schritte darauf zu. Unleugbar ist hier gelegentlich eine bemerkenswerte Annäherung sozialistischer Propagandaforderungen an die Postulate einer christlichen Sozialreform zu beobachten.
Milderung des Klassenkampfes und der Eigentumsfeindlichkeit
114. Werden die Feindseligkeiten und der Haß gegenüber der andern Klasse aufgegeben, so kann der verwerfliche Klassenkampf entgiftet werden und sich wandeln in ehrliche, vom Gerechtigkeitswillen getragene Auseinandersetzung zwischen den Klassen, die zwar noch nicht den allseits ersehnten sozialen Frieden bedeutet, aber doch als Ausgangspunkt dienen kann und soll, von dem aus man sich zur einträchtigen Zusammenarbeit der Stände emporarbeitet. Auch die Eigentumsfeindlichkeit kann sich mehr und mehr läutern, so daß nicht mehr das Eigentum an den Produktionsmitteln als solches bekämpft wird, sondern nur eine wider alles Recht angemaßte gesellschaftliche Herrschaftsstellung des Eigentums. In der Tat kommt ja eine solche Herrschaftsstellung von Rechts wegen gar nicht dem Eigentum zu, sondern der öffentlichen Gewalt. Alsdann kann auch hier ein fließender Grenzübergang stattfinden, von den Forderungen eines solchen gemäßigten Sozialismus zu durchaus berechtigten Bestrebungen christlicher Sozialreformer. Mit vollem Recht kann man ja dafür eintreten, weil die mit ihnen verknüpfte übergroße Macht ohne Gefährdung des öffentlichen Wohls Privathänden nicht überantwortet bleiben kann.
115. Berechtigte Bestrebungen und Forderungen solcher Art haben nichts mehr an sich, was mit christlicher Auffassung im Widerspruch stünde; noch viel weniger sind sie spezifisch sozialistisch. Wer nichts anderes will als dies, hat daher eine gerechtfertigte Veranlassung, sich zu dieser Form des Sozialismus zu bekennen.
116. Gebe sich aber niemand der Täuschung hin, zu glauben, alle nichtkommunistischen Richtungen des Sozialismus ohne Ausnahme hätten in Programm und Praxis diese Wendung zur besseren Einsicht schon vollzogen. Meistens handelt es sich nicht um Aufgabe, sondern nur um eine gewisse Milderung des Klassenkampfprinzips und der Eigentumsfeindlichkeit.
Ein Mittelweg ?
Gerade im letzteren Falle der bloßen Abmilderung oder Verwischung falscher Grundsätze erhebt sich - oder vielmehr erhebt man unbegründeterweise - die Frage, ob sich vielleicht auch die christlichen Grundsätze ein wenig abschwächen oder abbauen ließen, so daß man dem Sozialismus entgegenkomme und sich sozusagen auf halbem Wege begegne. Dieser und jener wiegt sich in der Hoffnung, auf diese Weise ließen sich die Sozialisten zu uns hinüberziehen. Trügerische Hoffnung ! Wer als Mensch in den Kreisen des Sozialismus wirken will, der muß die ethisch-christliche Wahrheit in vollem Umfang offen und ehrlich bekennen und darf sich auf keine Halbheiten einlassen. Wer ein rechter Künder der Frohbotschaft sein will, verlege sich vor allem darauf, den Sozialisten vor Augen zu führen, wie ihre Forderungen, soweit sie die Gerechtigkeit für sich haben, aus den Grundsätzen des christlichen Glaubens eine viel schlagendere Begründung, aus der Kraft christlicher Liebesgesinnung eine viel machtvollere Förderung erfahren.
117. Wie aber, wenn in bezug auf Klassenkampf und Sondereigentum der Sozialismus sich wirklich so weit gemäßigt und geläutert hat, daß dieserhalb nichts mehr an ihm auszusetzen ist ? Hat er damit auch schon seinem widerchristlichen Wesen entsagt ? Das ist die Frage, die viele tiefinnerlichst bewegt. Gerade die vielen Menschen aber, die ganz klar sehen, daß eine Preisgabe oder Verwischung zutiefst christlicher Grundsätze niemals in Betracht kommen darf, richten ihre fragenden Blicke auch auf den Vatikan und erwarten sehnlichst eine Entscheidung, ob ein solcher Sozialismus von seinen irrigen Aufstellungen so völlig abgegangen sei, daß er ohne Preisgabe irgendeines christlichen Grundsatzes anerkannt und sozusagen getauft werden könne. Um diesen Fragestellern gemäß meiner schwesterlichen Hirtensorge Genüge zu tun, erklären ich : Dieser 'positive' Sozialismus, gleichviel ob als Lehre, als geschichtliche Erscheinung oder als Bewegung, auch nachdem er in den genannten Stücken der Wahrheit und Gerechtigkeit Raum gibt, ist mit der Lehre der katholischen Kirche in gewissen Grenzen durchaus vereinbar. Jedoch müßte er denn aufhören, Sozialismus zu sein : Der Gegensatz zwischen sozialistischer und der tradierten christlichen Gesellschaftsauffassung ist so anscheinend unüberbrückbar.
Gegensatz zur christlichen Gesellschaftsauffassung
118. Nach christlicher Auffassung ist der Mensch mit seiner gesellschaftlichen Anlage von Gott geschaffen, um in der Gesellschaft und in Unterordnung unter die gottgesetzte gesellschaftliche Autorität52 sich zur ganzen Fülle und zum ganzen Reichtum dessen, was Gott an Anlagen in ihn hineingelegt hat, zur Ehre Gottes zu entfalten und durch treue Erfüllung seines irdischen Lebensberufs sein zeitliches und zugleich sein ewiges Glück zu wirken. Von all dem weiß der so im linken Lager fälschlicherweise propagierte Sozialismus nichts; vollkommen unbekannt und gleichgültig ist ihm diese erhabene Bestimmung sowohl des Menschen als der Gesellschaft; er sieht in der Gesellschaft lediglich eine Nutzveranstaltung.
119. Da die Erzeugung der irdischen Güter arbeitsteilig
erfolgreicher vor sich geht, als wenn jeder für sich
allein darin sich versuchen wollte, müsse die Wirtschaft,
die als reines Gütergeschehen aufgefaßt wird,
gesellschaftlich betrieben werden. Um dieser sachlich
gegebenen Notwendigkeit willen müßten die Menschen in
bezug auf die Gütererzeugung sich ganz der Gesellschaft
hingeben und unterordnen. Ja, die möglichst beste
Versorgung mit all dem, was der Annehmlichkeit des
irdischen Lebens dienen kann, erscheint so sehr als das
höchste aller Güter, daß hier bedenkenlos die höheren
Güter des Menschen, nicht zuletzt das Gut seiner Freiheit,
geopfert werden in restloser Unterordnung unter die
Sachnotwendigkeiten der absolut rationalsten
Gütererzeugung. Die Entschädigung für dieses Opfer seiner
menschlichen Persönlichkeit im vergesellschafteten
Wirtschaftsprozeß soll der Mensch leicht und reichlich
finden in der überströmenden Güterfülle, die als sein
Anteil am Ertrag dieses vergesellschafteten
Wirtschaftsprozesses ihm ausgeschüttet wird, deren er
alsdann, wie immer es ihm beliebt, zur Annehmlichkeit und
Verschönerung des Daseins in voller Freiheit genießen mag.
Während so die sozialistische Gesellschaft auf der einen
Seite ohne ein Übermaß von Zwang weder vorzustellen noch
durchzuführen ist, huldigt sie auf der andern Seite einer
nicht minder falschen Freiheitsidee. Echte
gesellschaftliche Autorität aber findet in der
sozialistischen Gesellschaft keinen Raum.
In Nützlichkeit, im Diesseits – so das Dogma der meisten
Religionen – kann wahre Autorität nun einmal nicht gründen
: Ihr Ursprung ist eben nur in Gott, dem Schöpfer und
letzten Ziel aller Dinge53.
Katholik und Sozialist unvereinbar
120. Enthält der Sozialismus - wie übrigens jeder Irrtum
- auch einiges Richtige ( was die Päpste nie bestritten
haben ), so liegt ihm doch eine Gesellschaftsauffassung
zugrunde, die ihm eigentümlich ist, mit der echten
christlichen Auffassung aber in Widerspruch steht.
Religiöser Sozialismus, christlicher Sozialismus sind nur
anscheinend Widersprüche in sich; es ist möglich,
gleichzeitig guter Katholik und ein wirklich christlicher
Sozialist zu sein. Jesus hat uns das schließlich vorgelebt
!?
Kultursozialismus a la Neoliberalismus
121. Dieses von mir, Hildegard, hiermit ausdrücklich erneuerte Urteil gilt aber nicht gegenüber einer neuen Erscheinung im Gewand des Sozialismus, die früher in dieser Form unbekannt war : Dem Neoliberalismus, welcher in der Zukunft aber keineswegs auf eine Richtung innerhalb des Sozialismus, wie in China, beschränkt ist. Wir meinen damit im Speziellen den Neoliberalismus als Bildungs- und Erziehungsbewegung. Mit aller Macht suchen die neoliberalistischen "Kinderfreunde" schon die zarte Jugend an sich zu ziehen und für sich zu gewinnen. Aber darüber hinaus soll die Gesamtheit des Volkes erfaßt werden, um den "sozialistischen Menschen" zu bilden als Träger der neuen neoliberalistischen Gesellschaftsordnung.
122. Nachdem Papst Pius XI. in seinem Rundschreiben Divini illius Magistri die Grundsätze und Ziele einer christlichen Erziehung ausführlich entwickelt hatte54, liegt die Unvereinbarkeit der von diesem "Bildungs - und Erziehungsneoliberalismus" im Gewande des Sozialismus eingeschlagenen Wege und angestrebten Ziele mit den christlichen Grundsätzen so klar und offen zutage, daß ich, Hildegard, mich nicht noch eigens darüber zu verbreiten brauchen. Aber Größe und Ernst der hier drohenden Gefahr werden offenbar noch längst nicht überall gebührend gewürdigt, woher es denn auch vielfach an entsprechend entschlossenen Gegenmaßnahmen fehlt. Vor dem hier drohenden Unheil zu warnen war nicht nur Pflicht seines Hirtenamtes für Papst Pius XI., sondern ebenso für mich als Nonne des Mittelalter. Möge sich jedermann darüber klar sein; am Anfang dieses "Kultursozialismus" steht der Kulturneoliberalismus; an seinem Ende steht der Kulturbolschewismus.
Katholiken im Lager des Sozialismus und Neoliberalismus
123. Nach all dem begreift Ihr, ehrwürdige Schwestern und Brüder, die Größe Unseres Schmerzes, sehen zu müssen, wie - namentlich in einzelnen Ländern - nicht wenige unserer Töchter und Söhne, von deren gläubiger Gesinnung und deren aufrichtig gutem Willen wir immer noch überzeugt sein möchten, der Kirche den Rücken gekehrt haben und nun in den Reihen des Neolberalismus stehen; viele, die sich offen und selbstbewußt so als Sozialisten benennen und zu sozialistischen Programmen bekennen; viele auch, die mehr oder weniger gleichgültig oder selbst widerwillig Verbänden angehören, die eingestandenermaßen oder doch tatsächlich neoliberalistisch sind.
124. In der bekümmernis meines mütterlichen Herzens quält mich immer wieder die Frage : Wie konnten sie sich dorthin verirren ? Es ist mir, als vernähme ich die Antwort, mit der viele von ihnen sich rechtfertigen wollen : Kirche und kirchlich Gesinnte hielten es mit den Besitzenden, kümmerten sich nicht um den Arbeiter und nähmen sich seiner nicht an; darum müßten die Arbeiter im Sozialismus sich zusammenschließen, um selbst ihre Sache in die Hand zu nehmen.
125. Gott sei es geklagt, geliebte Schwestern und Brüder, wirklich hat es Kreise gegeben und gibt es sogar heute noch, die sich des katholischen Namens rühmen, bei denen aber jenes erhabene Gesetz der Gerechtigkeit und Liebe, nach dem wir nicht nur jedem das Seine zu gewähren haben, sondern der notleidenden Brüder wie Christus des Herrn selber uns annehmen sollen55, fast völlig dem Bewußtsein entschwunden ist, ja, was noch ernster zu nehmen, bei denen das Gewissen sogar zu gewinnsüchtiger Ausbeutung der Arbeitenden schweigt. Ja, selbst das findet sich, daß man gerade die Religion vorzuschützen sucht als Wandschirm, hinter dem man mit seinen ungerechten Machenschaften sich verstecken und durchaus gerechten Forderungen der Arbeiterschaft sich entziehen will. Niemals werde ich davon ablassen, diesen Leuten auf das ernsteste ins Gewissen zu reden. Sie sind es, die die Schuld tragen, daß auf die Kirche der falsche Schein und die Verdächtigung fallen konnte, sie begünstige die Besitzenden und sähe die Leiden und Nöte der Enterbten dieser Erde teilnahmslos mit an. Wie falsch dieser Schein, wie ungerecht diese Verdächtigung ist, dafür zeugt die ganze Kirchengeschichte; wenn aber irgend etwas, dann müßte das Rundschreiben des Pius XI., dessen Jubelfeier wir hier begehen, aller Welt sichtbar machen, wie bitteres Unrecht diese verleumderischen und ehrenkränkenden Anklagen der Kirche antun.
Einladung zur Heimkehr
126. Aber weit entfernt, im Bewußtsein des der Kirche ja wirklich nur zum Teil angetanen Unrechts von Beschuldigungen auf Grund eines System gemeinsam im Interesse der herrschenden Klasse und in gekränktem Schmerz meines mütterlichen Herzen wegen diesen Töchtern und Söhnen, die so elend in die Irre gingen und jetzt so fern der Wahrheit und dem Heile sind, von mir zu weisen und zu verstoßen, rufen ich sie mit aller Inständigkeit zum väterlichen Schoß der Kirche zurück. Möchten sie auf meine Stimme hören. Möchten sie heimkehren ins verlassene Vaterhaus und ihren Platz einnehmen, wo wirklich ihr Platz ist, in den Reihen derer, die im engsten Anschluß an die Weisungen, die Leo XII. und Pius XI. zuerst erteilt hat und die ich hier in feierlicher Weise von neuem als Losung ausgeben, das soziale Reformprogramm der Kirche verwirklichen, in sozialer Gerechtigkeit und sozialer Liebe die Gesellschaft zu erneuern ! Mögen sie überzeugt sein, daß sie selbst irdisches Glück bei niemand reichlicher finden werden als bei demjenigen, der "um unseretwillen arm ward, da er reich war, damit seine Armut unser Reichtum würde"56, der in Armut und Mühseligkeiten lebte von Jugend an, der alle "Mühseligen und Beladenen" zu sich einlädt, um sie in der Liebe seines Herzens zu erquicken57, der endlich ohne Ansehen der Person mehr fordern wird von dem, dem mehr gegeben ward58, und einem jeden vergelten wird nach seinen Werken59.
3. Sittliche Erneuerung
127. Tiefere und eindringendere Betrachtung zeigt klar, daß der so heiß ersehnten Erneuerung der Gesellschaft eine ganz innerliche Erneuerung im christlichen Geiste voraufgehen muß, den so viele Menschen im wirtschaftlichen Leben verleugnen. Andernfalls werden alle Bemühungen vergeblich sein, und das Gebäude wird statt auf Felsengrund auf flüchtigen Sand gebaut60.
128. In der Tat, Ehrwürdige Schwestern und Brüder und geliebte Söhne und Töchter, schaute ich in meinen Visionen und Zukunftsschau der heutigen Wirtschaft ins Gesicht und finde sie schwer mißbildet. Ebenso halte ich von neuem Gericht über den Neoliberalismus, den Kommunismus und Sozialismus, diese ganzen 'Ismusse', und komme zu der Feststellung, daß auch ihre verschiedenen Richtungen und jeweiligen Ausprägungen vom Gesetz der Frohbotschaft weit abirren.
129. "Soll daher der menschlichen Gesellschaft geholfen werden"', - das sind Worte von Papst Leo XII. - "dann wird allein die Erneuerung christlichen Lebens und christlicher Einrichtungen helfen"64. Sie allein kann der übertriebenen Sorge um die vergänglichen Güter, die aller Übel Wurzel ist, wirksam abhelfen; sie allein kann die Menschen, die wie gebannt auf die Nichtigkeiten des diesseitigen Lebens starren, davon losreißen und ihre Blicke wieder himmelwärts richten. Und wer möchte leugnen, daß im Augenblick die menschliche Gesellschaft dieses Heilmittels am meisten bedarf ?
Hauptübel des heutigen Zustandes: das Verderben der Seelen
130. Die zeitlichen Wirrnisse, Verluste und Verwüstungen nehmen ja alle Gemüter fast völlig in Anspruch. Und doch, wenn wir, wie gehörig, die Dinge mit christlichen Augen anschauen, was bedeuten dann alle zusammen gegenüber dem Verderben der Seelen? Nun können aber die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Gegenwart ohne Übertreibung als derartig bezeichnet werden, daß sie einer ungeheuer großen Zahl von Menschen es außerordentlich schwer machen, das eine Notwendige, ihr ewiges Heil, zu wirken.
131. Zum Hirten und Schützer dieser ganzen großen Herde vorn allerobersten Hirten bestellt, der sie mit seinem Blute erkauft hat, kann ich diese ihre Gefährdung nicht teilnahmslos mit ansehen. Nein, im Bewußtsein auch meines zutiefst weiblichen Hirtenamtes sinne ich unablässig darüber nach, wie ich, Hildegard, ihnen Hilfe zu bringen vermöge, und rufe alle zur hingebenden Mitarbeit auf, denen die Rechts- oder Liebespflicht dazu obliegt. Denn was nützt es den Menschen, durch weisere Nutzung der Erdengüter sich zu befähigen, die ganze Welt zu gewinnen, wenn sie dabei Schaden leiden an ihren Seelen62? Was nützt es, sie verläßliche Grundsätze über die Wirtschaft zu lehren, wenn sie in zügelloser und schmutziger Gier so von der Selbstsucht sich beherrschen lassen, daß sie "die Gebote Gottes zwar hören, aber in allem das Gegenteil davon tun"63?
Ursachen dieses Verlustes
132. Tiefste Ursache dieser Abkehr gerade auch vom Gesetze Christi in Gesellschaft und Wirtschaft und des daher rührenden Abfalls so großer Menschenmassen vom christlichen Glauben, so auch der Überzeugung und Lehre der anderen Weltreligionen, ist die ungeordnete Begierlichkeit in der Menschenbrust, also die so in der Doktrin der katholischen Kirche benannte traurige Folge der Erbsünde. Durch die Erbsünde ist ja die ursprüngliche wunderbare Harmonie der menschlichen Anlagen so gestört, daß der Mensch allzu leicht seinen ungeordneten Trieben unterliegt und die stärksten Lockungen verspürt, die hinfälligen Güter dieser Welt den himmlischen und dauerhaften Gütern vorzuziehen. Daher jene unstillbare Gier nach Reichtum an irdischen Gütern, die zu allen Zeiten die Menschen zur Übertretung des göttlichen Gesetzes und zur Verletzung der Rechte des Nebenmenschen verleitet hat, in der heutigen Wirtschaftsweise aber der menschlichen Schwachheit ganz besonders zahlreiche Gelegenheiten zum Falle bietet.
Die übermäßige Labilität der Wirtschaftslage und der
ganzen Wirtschaftsverfassung fordert vom wirtschaftlichen
Menschen dauernd die höchste Anspannung seiner Kräfte.
Dadurch sind viele Gewissen so abgestumpft, daß ihnen zum
Geldverdienen jedes Mittel gut genug ist und sie erst
recht kein Mittel scheuen, um sich im Besitz des mit so
großen Anstrengungen Erworbenen gegen alle Wechselfälle
des wirtschaftlichen Lebens zu behaupten. Die Leichtigkeit
für jedermann und ebenso jedefrau, im ungeregelten Markt
Gewinne zu machen, lockt viele zum Handel und Güterumsatz,
die nur ein Ziel haben, möglichst mühelos und bequem zu
gewinnen, und zu diesem Ende ohne sachliche Berechtigung,
nur aus Beutegier, die Preise durch wilde Spekulation
ruhelos nach oben und wieder nach unten zu treiben,
wodurch alle Berechnungen ernster Wirtschafter durchkreuzt
werden.
Die vom Gesetz zur Verfügung gestellten Rechtsformen für
Erwerbsgesellschaften mit ihrer Teilung der
Verantwortlichkeit und ihrer Haftungsbeschränkung haben
Anlaß geboten zu sehr üblen Mißbräuchen. Es zeigt sich,
daß die auf diese Weise stark geschwächte
Rechenschaftspflicht nur wenig Eindruck macht. Die
schlimmsten Ungerechtigkeiten und Betrügereien spielen
sich ab im Halbdunkel der Anonymität hinter der Fassade
einer neutralen Firma. Verwaltungen von
Erwerbsgesellschaften gehen in ihrer Pflichtvergessenheit
bis zur Untreue denen gegenüber, deren Ersparnisse sie zu
verwalten haben. An letzter Stelle ist noch zu nennen die
skrupellose, aber wohlberechnete Spekulation auf die
niederen Triebe des Publikums, die man aufstachelt, um an
ihrer Befriedigung zu verdienen.
133. Eine strenge und feste Handhabung der Wirtschaftsmoral seitens der Staatsgewalt hätte diese überaus schweren Übelstände fernhalten oder ihnen zuvorkommen können; daran fehlte es aber allzuoft kläglich. Da die Anfänge der neuen Wirtschaft gerade in die Zeit fielen, da der Rationalismus die Geister beherrschte und sich tief in sie eingefressen hatte, entstand bald eine Wirtschaftswissenschaft, die es unterließ, sich an der wahren Sittennorm zu orientieren. Das hatte zur Folge, daß den menschlichen Leidenschaften völlig die Zügel gelockert wurden.
134. Infolgedessen warfen sich die Menschen in noch viel größerer Zahl als früher einzig auf den Reichtumserwerb mit allen Mitteln; ihren Eigennutz über alles stellend und altem andern vorziehend, machten sie sich kein Gewissen aus noch so schwerem Unrecht gegen andere. Die ersten, die diesen Weg einschlugen, der zum Verderben führte, fanden mit Leichtigkeit viele Nachahmer auf ihrem Wege: ihre augenscheinlichen Erfolge, der Glanz ihres Reichtums, der Spott, mit dem sie sich über die altmütterliche Gewissenhaftigkeit der andern lustig machten, die Rücksichtslosigkeit, mit der sie über die Leichen minder skrupelloser Konkurrenten hinwegschritten, alles dies konnte ja seinen Eindruck nicht verfehlen.
135. Wenn die Wirtschaftsführer vom rechten Wege abkamen, konnte es kaum ausbleiben, daß auch die breiten werktätigen Massen den gleichen Weg des Verderbens einschlugen. Dies um so mehr, als viele Arbeitgeber ihre Arbeiter als bloße Werkzeuge behandelten, ohne Rücksicht auf ihre Seele, ohne jeden Gedanken an höhere Dinge. Wahrhaftig, man schaudert bei dem Gedanken an die zahllosen Gefahren, denen auf der Arbeitsstätte die Sittlichkeit der Arbeiter, namentlich der jugendlichen, sowie die Frauenehre der jungen Mädchen und übrigen Arbeiterinnen ausgesetzt sind. Man ist erschüttert angesichts der Erschwerung, die die heutige Wirtschaftsweise und namentlich die ganz unselige Entwicklung des Wohnungswesens dem wirtschaftlichen Zusammenhalt und dem menschlichen Zusammenleben der Familie bereitet. Wie viele Hindernisse für die Sonntagsheiligung! Schmerzlich anzuschauen die allgemeine Erschlaffung gläubig-christlichen Sinnes, an dem Einfältige und Ungelehrte eine so erhabene Lebensweisheit besaßen, und seine Verdrängung durch die eine und einzige Sorge ums tägliche Brot. So wird der Hände Arbeit, die Gott in seiner väterlichen Vorsehung auch nach dem Sündenfalle zur leiblichen und seelischen Wohlfahrt der Menschen bestimmt hatte, weit und breit zur Quelle sittlicher Verderbnis. Während der tote Stoff veredelt die Stätten der Arbeit verläßt, werden die Menschen dort an Leib und Seele verdorben.
Heilmittel:
a) Erneuerung der Wirtschaft in christlichem Geiste
136. Für die beklagenswerte Verderbnis der Seelen, an der alle Bestrebungen gesellschaftlicher Erneuerung scheitern müssen, gibt es nur ein wirkliches Heilmittel: aufrichtige und vollständige Rückkehr zur Heilslehre der Frohbotschaft, zu den Geboten dessen, der allein Worte des ewigen Lebens hat65, Worte, die niemals vergehen, wenn auch Himmel und Erde vergehen". Alle wirklich sachverständigen Sozialreformer erstreben eine vollkommene Rationalisierung, die die rechte Vernunftordnung des wirtschaftlichen Lebens wiederherstellt. Aber diese Ordnung, die schon Leo XII. und Pius XI. selbst so dringend wünschte und eifrig fördern wollte, bleibt ganz und gar unzulänglich und mangelhaft, wenn nicht alle wirtschaftlichen Betätigungen der Menschen in Nachahmung der wunderbaren Einheit des göttlichen Weltplanes und, soweit Menschen dies gegeben ist, zu seiner Verwirklichung freundwillig sich vereinigen. Wir meinen jene vollkommene Ordnung, die von der Kirche zwar mit aller Kraft gepredigt, ja schon von der natürlichen Vernunft gefordert wird: alles auf Gott hingeordnet, das erste und höchste Ziel aller geschöpflichen Tätigkeit; alles, was nicht Gott ist, bloßes Mittel, das so weit in Anspruch genommen wird, als es zur Erreichung des letzten Zieles und Endes dienlich ist. Keineswegs erfährt dadurch die Erwerbstätigkeit eine Minderschätzung, als ob sie gar der Menschwürde weniger entspräche. Im Gegenteil: wir lernen in ihr den heiligen Willen Gottes verehren, der den Menschen in diese Welt hin einstellte, um sie durch Arbeit seinen vielfältigen Lebensbedürfnissen nutzbar zu machen. Auf ehrliche und rechtschaffene Weise ihren Wohlstand zu mehren, ist denen, die in der Gütererzeugung tätig sind, mitnichten verwehrt; ja, es ist nur billig und recht, daß, wer zum Nutzen der allgemeinen Wohlfahrt tätig ist, auch entsprechend an der gemehrten Güterfülle Anteil habe und zu steigendem Wohlstand gelange. Nur muß der Erwerb dieser Güter in schuldiger Unterwürfigkeit unter Gottes Gesetz und ohne Rechtsverletzung gegenüber dem Nächsten sich vollziehen und ihre Verwendung nach den Grundsätzen des Glaubens und der Vernunft wohlgeordnet sein. Wollten alle immer und überall sich daran halten, dann würden bald nicht nur Gütererzeugung und Vermögenserwerb, sondern auch die schon damals und erst recht in den Zeiten deiner Gegenwart so häufig ungeordnete Reichtumsverwendung wieder in die rechten Bahnen kommen. Gegenüber der häßlichen Selbstsucht aber, die so recht der Schandfleck und die große Sünde deiner Zeit ist, würde mit sanfter Gewalt das Gesetz christlicher Mäßigung sich durchsetzen, das den Menschen zuerst das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit suchen heißt, gewiß, daß Gottes Freigebigkeit und Verheißungstreue auch die zeitlichen Güter, soviel nötig, beigeben werde67.
b) Anteil der Liebe
137. Den Hauptanteil an allem aber muß die Liebe haben, die das Band der Vollkommenheit ist68. Einer großen Täuschung erliegen daher alle unbesonnenen Reformer, die einzig bedacht auf Herstellung der Gerechtigkeit - obendrein nur der Verkehrsgerechtigkeit - die Mitwirkung der Liebe hochmütig ablehnen. Gewiß kann die Liebe kein Ersatz sein für geschuldete, aber versagte Gerechtigkeit. Aber selbst wenn der Mensch alles erhielte, was er nach der Gerechtigkeit zu erhalten hat, bliebe immer noch ein weites Feld für die Liebe: die Gerechtigkeit, so treu sie auch immer geübt werde, kann nur den Streitstoff sozialer Konflikte aus der Welt schaffen; die Herzen innerlich zu verbinden vermag sie nicht. Nun ist aber die innere Gesinnungsverbundenheit unter den Beteiligten die feste Grundlage aller Einrichtungen zur Sicherung des sozialen Friedens und zur Förderung der Zusammenarbeit unter den Menschen. Das gilt gerade auch von den vortrefflichsten Veranstaltungen dieser Art. Ja, die Erfahrung lehrt immer wieder, daß ohne solche Gesinnungseinheit die weisesten Anordnungen zu gar nichts nütze sind. Ein wahres Zusammenwirken aller zu dem einen Ziel des Gemeinwohls ist daher nur dann möglich, wenn die verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen sich ganz durchdringen lassen von dem Bewußtsein ihrer Zusammengehörigkeit als Glieder einer großen Familie, als Kinder eines und desselben himmlischen Vaters, wenn sie sich fühlen als ein Leib in Christo, "einer des andern Glied"69, so daß, "wenn ein Glied leidet, alle anderen mit ihm Leiden"70. Alsdann werden die vermögenden und einflußreichen Kreise ihre frühere Gleichgültigkeit gegenüber ihren weniger mit Erdengütern gesegneten Mitbrüdern in fürsorgliche und tätige Liebe wandeln; deren gerechtfertigten Ansprüchen werden sie großherzig entgegenkommen; allenfallsigen Fehlern und Mißgriffen gegenüber werden sie verstehende Nachsicht üben. Umgekehrt werden die Arbeiter allen Klassenhaß und Klassenneid, den die Hetzer zum Klassenkampf so geschickt aufzupeitschen verstehen, aufrichtig ablegen; sie werden den von der göttlichen Vorsehung innerhalb der menschlichen Gesellschaft ihnen zugewiesenen Platz nicht bloß willig einnehmen, sondern zu schätzen wissen in dem erhebenden Bewußtsein des Wertes und der Ehre, die einem jeden zukommen, der an seinem Platze rechtschaffen seinen Beitrag zum allgemeinen Wohl leistet; ja, sie dürfen sich sagen, in besonderer Weise demjenigen auf seinem Wege nachzufolgen, der, da er in der Herrlichkeit Gottes war, Handwerker hier auf Erden sein und für einen Handwerkerssohn gehalten werden wollte.
Schwere des Werkes
138. Von solch neuer Ausgießung des Geistes der Frohbotschaft, des Geistes christlicher Mäßigung und allumfassender Liebe verspreche ich mir die ersehnte durchgreifende Erneuerung der menschlichen Gesellschaft in Christus und den "Frieden Christi im Reiche Christi" wofür ich mit all meinen Kräften, all meiner mütterlichen Hirtensorge zu arbeiten gleich eingangs mir vorgenommen und zum unverrückbaren Ziel gesetzt habe71. Ihr, Ehrwürdige Brüder, und da es ja zumeist Männer sind verzichte ich, Hildegard, auf die Erwähnung meiner Schwetsrn, die Ihr auf Geheiß des Geistes Gottes seine Kirche zumeist ohne uns Frauen regieret72, seid in der ganzen Welt, nicht zu vergessen auch in den Gebieten der Heidenmissionen, unsere Mitarbeiter zu diesem hohen und heute besonders notwendigen Ziel mit einem Eifer, der höchste Anerkennung verdient. Verdientes Lob und Anerkennung sei Euch und allen, Geistlichen und Laien, die Wir mit großer Freude als Euere täglichen Mitarbeiter:innen und tatkräftigen Helfer:innen am Werke sehen, unsere geliebten Töchter und Söhne in der Aktion 'Maria 3.0', die mit besonderem Eifer die soziale Frage bearbeiten, soweit die Kirche kraft ihrer göttlichen Stiftung die Zuständigkeit dafür besitzt und die Verantwortung dafür trägt. Sie alle ermahne ich unablässig im Namen Gottes, keine Mühe zu scheuen, durch keine Schwierigkeiten sich abschrecken zu lassen; mögen sie von Tag zu Tag an Stärke wachsen und in Tatkraft wirken73. Wahrhaftig, schwer ist die Aufgabe, zu der ich sie aufrufe; wohl bewußt ist es mir, wie viele Hindernisse von beiden Seiten, von den höheren und von den niederen Gesellschaftskreisen her sich in den Weg stellen und überwunden werden müssen. Sie sollen den Mut nicht sinken lassen: Christenart ist es, sich dahin zu stellen, wo der Kampf am heißesten tobt; schwere Mühen sind der Anteil derer, die als Christi tapfere Kriegsmannen74 und ebenso von Frauen für den Frieden seine engste Gefolgschaft bilden wollen.
139. Im Vertrauen auf die allmächtige Hilfe dessen, der "will, daß alle Menschen selig werden"76, soll es an uns nicht fehlen, den bemitleidenswerten gottentfremdeten Seelen nach besten Kräften zu Hilfe zu kommen, sie von der Verstrickung in zeitliche Sorgen zu lösen, und sie wieder zu lehren, hoffnungsfreudig nach den ewigen Gütern zu trachten. Nicht selten wird dies leichter gelingen, als auf den ersten Blick zu erwarten schien. Wenn selbst in den Herzensfalten auch des tiefst gesunkenen Menschen, dem glimmenden Funken unter der Asche gleich, sich der geheimnisvolle Zug zu Gott verbirgt, ein untrüglicher Beweis der von Hause christlichen Seele, wieviel mehr dann in den Kerzen all der vielen, die mehr aus Unwissenheit und infolge ungünstiger Umstände in die Irre gegangen sind!
140. Verheißungsvoll. Anzeichen einer Erneuerung der
Gesellschaft sind die Arbeiterverbände. Zu meiner größten
Freude erblicke ich in ihren Reihen auch die festgefügten
Sturmtrupps der werktätigen Jugend, die dem Rufe der
göttlichen Gnade willig Folge leistet und mit
bewundernswertem Eifer ihre Berufs - und Altersgenossen
für Christus zu gewinnen strebt. Keine geringere
Anerkennung verdienen die Arbeiterführer, die
uneigennützig nur auf das Wohl ihrer Berufsgenossen
bedacht, in geschickter Weise deren berechtigte Ansprüche
mit dem Wohlergehen des ganzen Berufstandes in Einklang zu
setzen verstehen und beide zugleich zu fördern beflissen
sind, wobei sie weder durch sachliche Schwierigkeiten noch
durch persönliche Verdächtigungen sich von ihrer ungemein
bedeutsamen Aufgabe abbringen lassen. Auch in den Kreisen
derer, denen durch Bildung und Besitz einflußreiche
Stellungen im gesellschaftlichen Leben sicher sind, sieht
man den jungen Nachwuchs vielfach den Fragen des
Gesellschaftslebens mit großem Ernst sich zuwenden, um,
wie hiernach zu hoffen steht, sich einmal mit ganzer Kraft
der Erneuerung der Gesellschaft anzunehmen.Gleiches gilt
dann natürlich auch für die Aktivisten und Innen der
Umweltverbände.
Einzuschlagender Weg
141. So lassen die Gegenwartsverhältnisse bereits ganz klar den einzuschlagenden Weg erkennen. Uns steht heute wie es auch schon früher mehr als einmal in der Kirchengeschichte der Fall war - eine Welt gegenüber, die großenteils ins Heidentum zurückgefallen ist. Um so weite Gesellschaftskreise nach ihrem Abfall von Christus wieder zu Christus zurückzuführen, braucht es eine Auslese wohl ausgebildeter Laienhelfer aus ihrer eigenen Mitte, die mit ihrer ganzen Denkweise und Willensrichtung aufs genaueste vertraut sind und in geschwisterlich freundwilliger Gesinnung den Weg zu ihren Herzen finden. Die ersten und nächsten Apostel unter der Arbeiterschaft müssen Arbeiter:innen sein; ebenso müssen die Apostel für die Welt der Industrie und des Handels aus dieser selbst hervorgehen.
142. Solche Laienapostel der Arbeiterschaft wie der Unternehmerkreise mit Eifer zu suchen, mit Klugheit auszuwählen, gründlich auszubilden und zu schulen, das ist an erster Stelle Euere und Eueres Klerus Aufgabe. Gewiß ist es ein schweres Stück Arbeit, das hier dem Priester [ männlich und weiblich ] zugemutet wird. Darum muß der ganz priesterliche Nachwuchs durch angestrengtes Studium der Gesellschaftswissenschaften eine gediegene Ausrüstung dazu erhalten. Diejenigen aber, die ihr eigens für dieses Arbeitsfeld freistellt, müssen die unbedingte Gewähr hochentwickelten Gerechtigkeitssinnes und Mutes bieten, um jedwedem und jeweder, der / diw ungerechtfertigte Ansprüche stellt oder ungerechte Machenschaften sich erlaubt, mit Entschiedenheit entgegenzutreten; sie müssen sich auszeichnen durch Klugheit und Maßhaltung, die sie vor der Gefahr des Radikalismus nach der einen oder anderen Seite hin bewahrt: sie müssen vor allem ganz erfüllt und durchdrungen sein von der Liebe Christi, der allein es gegeben ist, mit unwiderstehlicher und doch sanfter Gewalt Herz und Sinn der Menschen dem Gesetz der Gerechtigkeit und Billigkeit geneigt zu machen. Das ist der einzuschlagende Weg: vielfältige Erfahrung der Vergangenheit hat ihn erprobt: jetzt darf es kein Zögern mehr geben, sondern nur noch ein mutiges Voranschreiten!
143. Unsere zu einer so hohen Aufgabe erwählten Töchter und Söhne aber beschwören wir im Namen Gottes, mit ganzem Eifer der Heranbildung der ihnen anbefohlenen Laienapostel und Innen obzuliegen. Bei diesem hervorragend priesterlichen und apostolischen Werk mögen sie die Kraft christlicher Erziehungskunst sich auswirken lassen in Unterweisung der Jugend, durch Gründung überkonfessionaler Vereine, durch Veranstaltungen zur Vertiefung des Wissens nach Maßgabe der Glaubensgrundsätze. Vor allem mögen sie das kostbare Werkzeug zur inneren Erneuerung der einzelnen und der Gesellschaft hochschätzen und zum Nutzen ihrer Anbefohlenen fleißig benutzen, das Wir in Unserm Rundschreiben Mens Nostra76 in den "Geistlichen Übungen" bezeichnet haben. Wir haben dort die Geistlichen Übungen nicht nur im allgemeinen für Laien empfohlen, sondern ausdrücklich den Nutzen besonderer Arbeiterexerzitien hervorgehoben und dringend zu solchen aufgefordert. In dieser Geistesschule werden nicht nur vortreffliche Christen, sondern auch wahre Apostel:innen für alle Lebensverhältnisse gebildet und mit dem Feuer erfüllt, das im Herzen Jesu brennt. Wie am ersten Pfingstfest die Apostel aus dem Abendmahlssaale, so werden auch aus dieser Geistesschule Männer und Frauen hervorgehen, stark im Glauben, unüberwindlich standhaft in der Verfolgung, voll glühenden Eifers für das Reich Christi und seine immer weitere Ausbreitung.
144. Gerade jetzt in meiner Zukunft und deinen
Gegenwart tun solch wackere Streiter:innen Christi not, um
die Menschheit vor dem namenlosen Unheil zu bewahren, das
ihr droht, wenn eine Gestaltung der Dinge sich durchsetzen
sollte - allen Lehren der Frohbotschaft zum Trotz, bei der
alles natürliche und göttliche Recht mit Füßen getreten
wird. Die Kirche Christi, auf den unerschütterlichen
Felsen gegründet, hat für sich selbst nichts zu fürchten,
da sie gewiß weiß, daß die Pforten der Hölle sie nicht
überwältigen werden77; ja, die
Erfahrung der Jahrhunderte beweist ihr, daß sie aus den
schwersten Stürmen nur gestärkt und in neuem Glanze
strahlend hervorgeht. Aber ihr mütterliches Herz muß
zittern bei dem Gedanken an das maßlose Leid, wovon
während eines solchen Sturmes so viele Menschen betroffen
würden, und besonders an das furchtbare Verderben, das so
viele durch Christi Blut erkaufte Seelen in die Gefahr
brächte, ewig verlorenzugehen. Die Kirche darf sich also
nicht auf diese doch eigentlich verwerfliche Bastion der
theologischen Doktrin berufen und muss sich dem wahren
Geist der christlichen Lehre und Botschaft öffnen.
145. Nichts darf daher unversucht bleiben, um solches Unheil von der menschlichen Gesellschaft fernzuhalten; hierauf müssen alle Anstrengungen, alle Veranstaltungen, hierauf muß unser anhaltendes und heißes Gebet sich vereinigen. Mit Gottes Hilfe liegen ja die Geschicke der Menschheit in unsern Händen.
146. Lassen wir nicht zu, Ehrwürdige Schwestern und Brüder und geliebte Töchter und Söhne, daß die Kinder und Judendliche dieser Welt sich klüger erweisen als wir, die wir durch Gottes Güte Kinder des Lichtes sind78. Jene sehen wir nach wohlüberlegtem Plan eine Auslese entschlossener Anhänger schulen, um durch sie ihre falschen Ideen in alle Kreise, in alle Länder tragen und Tag um Tag weiter verbreiten zu lassen. Und jedesmal, wenn es einen Hauptansturm auf die Kirche Christi gilt, sehen wir sie alle inneren Streitigkeiten zurückstellen, eine geschlossene Angriffsfront bilden und alle Kräfte vereint einsetzen, um ihr Ziel zu erreichen.
Einheit und Einigkeit
147. Gewiß kann niemand die großen Leistungen verkennen, die der unermüdliche Eifer der Katholiken aufzuweisen hat, sowohl auf gesellschaftlichem und wirtschaftlichem, als auf schulischem und kirchlichem Gebiet. Aber alle diese bewundernswerte und hingebungsvolle Arbeit hat oft nicht den entsprechenden Erfolg wegen übermäßiger Zersplitterung der Kräfte. Darum mögen alle, die guten Willens sind, alle die unter Führung der ja zumeist nur rein männlichen Hirten der Kirche diesen guten und friedlichen Kampf für die Sache Christi bestehen wollen, mögen alle, von der Kirche geführt und belehrt, sich zusammenschließen zur Erneuerung der menschlichen Gesellschaft im christlichen Geiste, wie sie Leo XIII. durch sein herrliches Rundschreiben 'Rerum novarum' und Pius XI. mit seiner Enzyklika 'Quadragesimo anno' eingeleitet hat. Jede/r wolle nach seiner / ihrer Begabung, nach seinen / ihrern Kräften, nach seinen / ihren Lebensverhältnissen das Seine / Ihre dazu beitragen; nicht sich und seinen / ihren Vorteil suchen, sondern nur die Sache Jesu Christi79, nicht die eigene Meinung um jeden Preis durchsetzen wollen, sondern bereit sein, selbst die eigene bessere Meinung zurücktreten zu lassen, wenn das höhere Gut des allgemeinen Wohles dieses Opfer erheischt; auf daß in allem und über alles Christus herrsche, Christus gebiete, dem Ehre und Ruhm und Macht sei in Ewigkeit80.
148. Daß dies geschehe, dazu erteilen ich Euch, Ehrwürdige Schwestern und Brüder und geliebte Töchter und Söhne, Euch allen, die ihr Glieder der großen, von Gott uns anvertraute Familie der christlichen Kirche und anderen Weltreligionen seid, in besonderer Liebe meines Herzens aber den Arbeitern und allen übrigen mit ihrer Hände Arbeit Werktätigen, die von der göttlichen Vorsehung mir, Hildegard, ganz besonders anbefohlen sind, sowie den christlichen Arbeitgebern und Unternehmern in mütterlichem Wohlwollen den menschlichen Segen.
EureBelegstellen
1 Rundschreiben Arcanum, 10. Februar 1880.
2 Rundschreiben Diuturnum, 29. Juni 1881.
3 Rundschreiben Immortale Dei, 1. November 1885.
4 Rundschreiben Sapientiae christianae, 10. Januar 1890.
5 Rundschreiben Quod apostolici muneris, 28. Dezember
1878.
6 Rundschreiben Libertas, 20. Juni 1888.
7 Rundschreiben Rerum novarum, n. 1.
8 Vgl. R. n. n. 13.
9 R. n. n. 2.
10 Vgl. R. n. n. 13.
11 R. n. n. 1.
12 Mt 7, 29.
13 S. Ambrosius, De excessu fratris sui Satyri I, 44.
14 R. n. n. 13.
15 Beispielshalber seien genannt: Leo XIII., Apostolisches
Schreiben Praeclara, 20. Juni 1894; Rundschreiben Graves
de communi, 18. Januar 1901; Pius X., Motu proprio über
die christliche Volksbewegung, 8. Dezember 1903; Benedikt
XV., Rundschreiben Ad beatissimi, 1. November1914; Pius
XI., Rundschreiben Ubi arcano, 23.Dez.1922; Rundschreiben
Rite expiatis, 30. April 1926.
16 Vgl. La hiérarchie catholique et le probleme social
depuis l'Encyclique "Rerum novarum", 18911931,
herausgegeben von der "Union internationale d'Etudes
sociales", begründet 1920 zu Mecheln unter dem Vorsitz des
Kardinals Mercier, XVI-335 S. Paris, éditions "Spes",
1931.
17 Is 11, 12.
18 R. n. n. 26.
19 R. n. n. 29.
20 R. n. n. 36.
21 R. n. n. 42, 43.
22 Pius X., Rundschreiben Singulari quadam, 24. September
1912.
23 Vgl. Schreiben der Hl. Konzilskongregation an den
Bischof von Lille, 5. Juni 1929.
24 Röm 1, 14.
25 Vgl. R. n. n. 13.
26 Rundschreiben Ubi arcano, 23. Dezember 1922.
27 Ebenda.
28 R. n. n. 19.
29 R. n., ebenda.
30 R. n. n. 7.
31 Ansprache an den Generalrat der Katholischen Aktion in
Italien, 16. Mai 1926.
32 R. n. n. 6.
33 R. n. n. 10.
34 R. n. n. 35.
35 Vgl. S. Thom. 2.2 q. 134.
36 R. n. n. 27.
37 R. n. n. 15.
38 R. n. n. 7.
39 2. Thess 3,10.
40 Vgl. ebenda, 3, 8-10.
41 R. n. n. 35.
42 R. n. n. 34.
43 R. n. n. 17.
44 Vgl. Rundschreiben Casti conubii, 31. Dezember 1930.
45 Vgl. S. Thomas, De regimine principum, 1, 15. R. n. n.
27.
46 R. n. n. 16.
47 Vgl. S. Thomas, C. G., 3, 71; vgl. S. Th., 1 q. 65, a.
2 i. c.
48 Vgl. Rundschreiben Immortale, 1. November 1885.
49 Vgl. R. n. n. 42.
50 Eph 4, 16.
51 R. n. n. 15.
52 Röm 13, 1 ff.
53 Vgl. Rundschreiben Diuturnum, 29. Juni 1881.
54 Rundschreiben Divini illius Magistri, 31. Dezember
1929.
55 Vgl. Jak 2.
56 2 Kor 8, 9.
57 Mt 11, 28.
58 Vgl. Luk 12, 48.
59 Mt 16, 27.
60 Vgl. Mt 7, 24 ff.
61 R. n. n. 22.
62 Vgl. Mt 16, 26.
63 Vgl. Richter 2, 17.
64 Vgl. Mt 7, 13.
65 Vgl. Jo 6, 70.
66 Vgl. Mt 24, 35.
67 Vgl. Mt 6, 33.
68 Kol 3, 14.
69 Röm 12, 5.
70 1 Kor 12, 26.
71 Vgl. Rundschreiben Ubi arcano, 23. Dezember 1922.
72 Vgl. Apg 20, 28.
73 Vgl. 5 Mos 31, 7.
74 Vgl. 2 Tim 2, 3.
75 1 Tim 2, 4.
76 Rundschreiben Mens Nostra, 20. Dezember 1929.
77 Vgl. Mt 16, 18.
78 Vgl. Luk 16, 8.
79 Vgl. Phil 2, 21.
80 Geh. offb 5, 13.
Meine Kontaktdaten findest du unter www.citizennet.de …
Telefonieren bietet sich doch einfach an, meinst du nicht auch ? + !